Dauerkrise in der Hauptstadt, Bankgesellschaft Berlin neue Fakten

Die EU-Kommission hat nicht nur die WestLB ins Visier genommen, sondern 2002 auch die schwer angeschlagene Bankgesellschaft Berlin. Das Berliner Institut, an dem das Land Berlin mit einem Anteil von 56,6 Prozent Mehrheitsaktionär ist, soll Zinsen aus der Übertragung von Wohnungsbaugesellschaften aus dem Eigentum des Landes Berlin an die Bank nachzahlen. Damit trifft die EU-Kommission eine Bank, die nach jahrelangem Missmanagement am Rande der Pleite steht.

Hochfliegende Erwartungen am Start
Entstanden ist die Hauptstadtbank 1994 durch den Zusammenschluss der damals schon schwächelnden Berliner Bank AG, der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG und der Landesbank Berlin-Girozentrale. Die Bankgesellschaft wurde als Muttergesellschaft mit Holdingfunktionen ausgestattet. Schon diese Konstruktion war ein Missgriff: Die drei Tochterbanken entwickelten in den folgenden Jahren ein hochriskantes Eigenleben und schotteten sich gegen die Eingriffe der Muttergesellschaft ab. Doch für solche Feinheiten betriebswirtschaftlicher Organisationslehre hatten die Gründerväter der Bank, allen voran der Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und sein Parteifreund Klaus Landowsky, wenig Interesse. Die beiden Unionspolitiker träumten vielmehr von einer mächtigen Hauptstadtbank, die im internationalen Wettbewerb der großen Finanzinstitute mithalten kann. Auch der Berliner SPD gefiel die Vision, sie half kräftig mit, das Projekt einer Großbank für die neue Weltmetropole Berlin anzuschieben. Zum ersten Aufsichtsratschef wurde der überzeugte Berliner und damalige Daimler-Benz-Vorstandschef Edzard Reuter ernannt.

Doch schon bald verstrickten sich die drei Institute unter dem Dach der Berliner Bankgesellschaft in Grabenkämpfe. Gleichzeitig waren sie aber jeder für sich genommen zu schwach, um die hohen Erwartungen zu erfüllen. Durch die Expansion um jeden Preis türmten sich immer höhere Risiken auf. Besonders die Immobilientochter Berliner Hyp ging immer waghalsigere Immobiliengeschäfte ein. Die Banker finanzierten alles – Neubauten, Platte und jedes Prestigeobjekt, für das sich die Berliner Politiker begeisterten.

Zwei Jahre nach der Gründung, im Herbst 1996, fielen bereits Wertberichtigungen von zwei Milliarden € an. Die beiden Vorstandssprecher Wolfgang Steinriede und Hubertus Moser mussten Ende des Jahres gehen. Aufsichtsratschef Reuter setzte daraufhin den früheren BHF-Banker Wolfgang Rupf an die Spitze der Bankgesellschaft. Rupf hatte zwar keinerlei Erfahrung im Management einer öffentlich-rechtlichen Bank, fand aber dafür größten Gefallen an den Größenfantasien, die die Berliner Politik der Bank in die Wiege gelegt hatte. Auch Rupf wollte den Expansionskurs fortsetzen und die Bank zu einem der größten Immobilienfinanzierer Deutschlands machen. Darüber hinaus ließ Rupf durch- blicken, dass er für die Berliner Bankgesellschaft an eine Übernahme der BHF, also seinen früheren Arbeitgeber, oder aber der BfG-Bank denke. Auch einen Zusammenschluss der Sparkassen von Berlin, Hannover, Hamburg und Potsdam hielt der neue Bankchef für eine attraktive Alternative.

Riskante Immobiliengeschäfte
Aus dem Aufschwung der Bank wurde jedoch nichts. Schon 1996 geriet die Konjunkturentwicklung im Osten ins Stocken. Die Insolvenzen erreichten Rekordhöhen, die Zahl der Arbeitslosen ebenfalls. Die Bankgesellschaft bekam die negative Seite des Strukturwandels in Berlin voll zu spüren.

Im Mai 1997 schien sich die Konjunktur in der Hauptstadt wieder etwas zu stabilisieren, der zaghafte Aufschwung ließ die Banker allerdings wieder leichtsinnig werden – in der Erwartung eines neuen Booms am Immobilienmarkt reduzierten sie die Kreditvorsorge kräftig und besserten dadurch ihr Jahresergebnis auf. In diesem Jahr begannen auch die Gespräche mit der Nord/LB über ein Zusammengehen beider Häuser. Ein Jahr lang wurde verhandelt, im März 1998 stimmten die Anteilseigner, vor allem die niedersächsische Landesregierung und der Berliner Senat, dem Fusionskonzept zu: Danach sollte das gesamte Stammkapital der Nord/LB per Sacheinlage in die Bankgesellschaft Berlin AG eingebracht werden. Darüber hinaus hatte sich die Bankgesellschaft zur Zahlung von zusätzlich 1,3 Milliarden € an die Nord/LB-Eigner verpflichtet. Weitere 1,5 Milliarden € sollten an das Land Berlin gezahlt werden, das im Gegenzug auf alle ihm zustehenden zukünftigen Gewinne der Landesbank Berlin verzichten wollte. Doch bevor der Plan umgesetzt werden konnte, kippte die Konjunktur und die Bankgesellschaft musste wieder neue Wertberichtigungen ihrer dramatisch gestiegenen Immobliengeschäfte vornehmen.
Die Nord/LB hielt diese Risiken für nicht mehr vertretbar und sagte im Oktober 1998 den Zusammenschluss ab, der zum 1. Januar 1999 hätte in Kraft treten sollen.

Bankgesellschafts-Chef
Rupf musste alleine weitermachen. Er verkündete ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm um den Konzern zu straffen. Im Mai 1999 legte Reuter den Aufsichtsratsvorsitz nieder. Neuer Chef des Kontrollgremiums wurde der Frankfurter Rechtsanwalt Dieter Feddersen.

Gut ein Jahr später brach die Krise mit voller Wucht über den Vorstand und seine Räte herein: Die Immobiliendienstleistungstochter IBG hatte einen Verlust von rund 750 Millionen Euro angehäuft. Dieses Defizit war aufgelaufen, weil die Immobilientochter Mietgarantien bei den zahlreichen Immobilienobjekten ausgleichen musste. Die Bankgesellschaft hatte ein großes Rad gedreht, das Volumen ihrer geschlossen Immobilienfonds hatte sich seit Rupfs Amtsantritt auf neun Milliarden Euro verdreifacht. Weil aber die Objekte kaum die den Anlegern versprochenen Garantiemieten einbrachten, musste die IBG die Differenz zahlen.

Von da an ging es steil bergab, im Monatstakt kamen neue Risiken hoch: Im Januar 2001 meldete die Berliner Hyp, bei der der Unionspolitiker und langjährige Vorsitzende der CDUFraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky, den Vorstand führte, eine Schieflage bei einem Kredit an die Wohnungsbaufirma Aubis in Höhe von 300 Millionen Euro. Die Aubis gehörte Landowskys alten Parteifreunden Klaus Hermann Wienhold und Christian Neuling. Als wenig später auch noch bekannt wurde, dass Landowsky eine Barspende von der Aubis für die CDU angenommen hatte, brach ein Sturm der Empörung in der Berliner Presse los, der schnell ein bundesweites Echo fand. Weitere Enthüllungen über Landowskys Kreditvergabe folgten. So habe der CDU-Politiker gern auch seinen Parteifreunden mit Krediten der Bankgesellschaft ausgeholfen und diese auch schon mal abgeschrieben, wenn die Kreditnehmer klamm waren. Oder er sponserte mit dem Geld der Bank den Promitennisclub LTTC Rot-Weiß in Grunewald, in dem er selbst Mitglied war.

Milliardenverluste kippen die Berliner Koalition
Im Mai 2001 trat Klaus Landowsky als Fraktionsvorsitzender der Berliner CDU schließlich zurück. Die Bankgesellschaft schockte ihre Anteilseigner mit neuen Horrorzahlen, Kredite in der Höhe von fünf Milliarden € seien beobachtungswürdig30. Zudem rügte die Bankenaufsicht die Vergabepraxis, die bei der Berliner Bankgesellschaft bei Immobilienfinanzierungen üblich war. Im April war bereits im Berliner Abgeordnetenhaus ein Untersuchungsausschuss eingesetzt worden, nachdem der Finanzsenator Peter Kurth den Verlust auf drei bis fünf Milliarden € beziffert hatte. Um den Bankkonzern zu retten, musste der Senat eine Patronatserklärung abgeben. Der zusätzliche Kapitalbedarf der Bankgesellschaft wurde vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen mit insgesamt vier Milliarden € angegeben.

Und so musste der Berliner Senat einen rigorosen Sparkurs beschließen, um überhaupt einen Etat für die Bundeshauptstadt aufstellen zu können. Darüber zerbrach schließlich die große Koalition zwischen CDU und SPD. Der SPD-Politiker Klaus Wowereit wurde Regierender Bürgermeister von Berlin an der Spitze eines rot-grünen Übergangssenats.

Immer wieder melden sich Interessenten, die den angeschlagenen Bankkonzern ganz oder in Teilen übernehmen wollen. Zu den ersten Bewerbern, die noch im Sommer des Jahres 2001 ein Angebot angekündigt hatten, gehörte auch der US-Investor Christopher Flower. Im Juli gab der Deutsche Sparkassen- und Giroverband eine Offerte für das Sparkassengeschäft der Bankgesellschaft ab.

Auf der Hauptversammlung der Bankgesellschaft im August 2001 musste sich Vorstandschef Rupf wütenden Anlegern stellen. Der Aufsichtsrat verzichtete darauf, den Antrag auf Entlastung des Vorstands vorzulegen. Im Oktober begann die Staatsanwaltschaft auch gegen den früheren Berliner-Hyp-Vorstand Landowsky wegen Untreue zu ermitteln, seine Immunität als Abgeordneter wurde jedoch nicht aufgehoben.

Wenig später musste die Immobilientochter IBAG eine Schiefläge von 1,22 Milliarden € melden, im Sommer war diese Summe noch mit 500 Millionen beziffert worden.

Im November sagte dann die Nord/LB, die einen zweiten Anlauf unternommen hatte, zusammen mit der Hamburger Sparkasse die Berliner Bankgesellschaft zu übernehmen, alle weiteren Gespräche ab. Die Informationen über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Schuldenkonzerns seien nicht ausreichend.

Nun endlich trennte sich der Aufsichtsrat von Vorstandschef Rupf. An seine Stelle setzte die damalige Interimsfinanzsenatorin Christiane Krajewski den Immobilienfachmann Hans-Jörg Vetter. Allerdings entschied sie sich für den forschen Manager mit seinem im deutschen Geldadel unüblich ruppigen Auftreten erst, nachdem zwei prominente Vertreter aus dem deutschen Bankgewerbe wegen zu hoher Gehaltsforderungen von sechs bis acht Millionen € – wie das Manager Magazin berichtete – ausgeschieden waren. Der neue Vorstandschef Vetter erkor sich einen hochkarätigen pensionierten Banker zum Berater: Michael Endres, einst Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, soll dem Neuling helfen, die Bank zu retten.

Die Bilanz dieses mehr als acht Jahre währenden Missmanagements von Bankern und Politikern ist verheerend: 4.000 Arbeitsplätze wurden gestrichen, die Aktionäre konnten dem Verfall ihrer Wertpapiere zuschauen: Von knapp 26 Euro im Jahr 1997 sank das Papier auf 1,91 Euro im Juni 2002. Das Land steckte nach den Finanzspritzen und der Übernahme von Milliarden Risiken in einer schweren Finanzkrise, die Berliner müssen unter der Finanznot leiden und Abstriche in vielen Bereichen hinnehmen. Am Ende wird der Steuerzahler die Zeche zahlen. Wirklich profitiert hat eigentlich nur der Ex-Bankchef Rupf: Er bekam noch Ende 2000 einen neuen Fünfjahresvertrag.

Die Geldwäscher und Korruption bei den deutschen Banken – zusätzliche Information

Im weiten Reich der Banker und Broker, der Großaktionäre und Kleinanleger, der Zocker und Spekulanten geht die Sonne nicht mehr unter: Rund um die Uhr und den Globus kann an irgendeinem Kapitalmarkt, an irgendeiner Börse, im Internet oder am Telefon Geld hin- und hergeschoben, angelegt oder abgezogen werden. Das große Monopoly kennt keine Grenzen, es ist räumlich und zeitlich total globalisiert – und total außer Kontrolle geraten.

Der gigantische Geldstrom, der ständig rund um die Erde gejagt wird, vermengt die Spargroschen braver Bürger mit dem Kapital der großen Konzerne und den Drogendollars lateinamerikanischer Kokainkartelle. Die Gelder aus den kriminellen Geschäften der japanischen Yakuza fließen ebenso ein wie die Einnahmen der chinesischen Triaden, die Euros osteuropäischer Schmugglerbanden und Waffenschieber, der Mafiaorganisationen Italiens und Russlands sowie der zahllosen Terrororganisationen in aller Welt. Die großen Kapitalströme kennen nur ein Ziel – wie die Lemminge streben sie den Anlagen mit den höchsten Renditen und geringsten Risiken zu.Auf dem Weg zu diesen Anlagen müssen allerdings viele Dollars, Euros und Yen einen teuren Umweg machen: Das Geld aus schmutzigen und kriminellen Geschäften, aus Drogendeals und Waffenschiebereien, aus Raubzügen, Erpressung und Schmuggel muss durch eine Waschanlage der besonderen Art geschickt werden. Schwarzgeld soll als weiße Ware in dem offiziellen Geldkreislauf gewinnbringend für die Organisationen von Kriminellen, Halunken, Erpressern, Mördern und Attentätern arbeiten und überall dort verfügbar sein, wo es gebraucht wird.

In den USA und Deutschland wurde versucht den Schwarzgeldwäschern durch restriktive Bargeldannahme bei Banken und im Handel das Handwerk zu erschweren. Wer Summen von mehr als 10.000 Dollar in den USA anlegen will, muss seit Ende der 80er Jahre nachweisen, dass er das Geld auf legalem Wege erworben hat. In Deutschland gilt ein ähnliches, allerdings deutlich schwächeres Gesetz – die Banken müssen die Einzahlung von mehr als 10.000 Euro zwar melden, doch dann liegt die Beweislast bei den Justizbehörden, die dem Einzahler nachweisen müssen, dass dieses Kapital bei einem Strafvergehen erworben wurde.

Das unheilige Bankgeheimnis
Viele Bundesbürger brachte allerdings auch dieses deutlich weichere deutsche Geldwäschegesetz in schwere Gewissensnöte: Vor der Einführung der Euro-Münzen und -Banknoten zum 1. Januar 2002 brach plötzlich große Hektik an den internationalen Devisenmärkten aus. In den zwölf Monaten vor dem magischen Datum stieg die Kapitalmenge, die aus den europäischen Landeswährungen, vor allem aber von der € in Dollars gewechselt wurde, dramatisch an. Ein Grund für den Run auf die amerikanische Währung war die kurze Umtauschfrist von nur zwei Monaten, während der die Europäer ihre alten Bargeldbestände gegen das neue Gemeinschaftsgeld wechseln konnten. Wer noch große Bestände von schwarzem Baren hatte, musste sich sputen seine Kohle loszuwerden. Die illegalen Geldvorräte privater Haushalte beschertem dem Einzelhandel im obersten Luxussegment, den Spitzenjuwelieren, Yachtbauern und Anbietern sonstiger teurer Prestigeobjekte ein glänzendes Weihnachtsgeschäft.

Vor allem die Schweiz profitierte von der drohenden Einführung des Euros. Die Banken und Finanzdienstleister Helvetiens verwalten rund ein Drittel des globalen Geldvermögens – im Alpenstaat selbst werden 3,4 Billionen Franken (im Juni 2002 entsprach die Summe rund 2,5 Billionen Euro) betreut. Davon dürften 300 bis 400 Millionen Franken an den zuständigen Finanzämtern vorbei in die Schweiz geschmuggelt worden sein. Zwar gibt es auch in der Eidgenossenschaft und im angrenzenden Fürstentum Liechtenstein strenge Gesetze gegen die Annahme von Geld aus Drogenhandel und anderen kriminellen Delikten, doch der einfache Betrug ausländischer Fiskalbehörden fällt nicht darunter.

Geschützt werden die in der Schweiz gewaschenen Gelder, die meist aus Schwarzarbeit und anderen Steuerdelikten stammen, durch das noch immer bestehende strenge Schweizer Bankgeheimnis. Zwar gibt es immer wieder Versuche auch von Schweizer Gruppen, diesen Schutzparagraphen für Steuersünder zu kippen, doch bisher ohne erkennbaren Erfolg.

Das Privileg, bei Anfragen ausländischer Steuerbehörden die Schotten dichtzumachen und jede Auskunft zu verweigern, ist den eidgenössischen und Liechtensteiner Banken heilig und wird mit allen Mitteln verteidigt: Der Anteil nicht versteuerter Vermögen ist für uns substanziell1′, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Chef des größten Schweizer Bankhauses UBS Marcel Ospel. Gern droht die Banklobby vor den Folgen eines solchen Gesetzes: Das Schwarzgeld würde abgezogen und in andere Steueroasen transferiert werden. Dadurch würden den Schweizer Banken Kommissionen und Gebühren in Milliardenhöhe entgehen. Arbeitsplatzabbau wäre eine ebenso unvermeidbare Folge wie eine tiefe Wirtschaftskrise, denn der Finanzsektor macht in der Schweiz 14 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus und erhält mehr als 220.000 Arbeitsplätze.

Die Pfade der Geldwäscher
Im Herbst 2002 schafften viele Euro-Flüchtlinge, vor allem aus Deutschland, ihre schwarzen Spargroschen und Steuersparmillionen persönlich über die schweizerischen Grenzen, um sie unter dem Schutz des Bankgeheimnisses dem Zugriff des deutschen Fiskus zu entziehen. Etliche dieser schwerbeladenen Grenzgänger riskierten dabei ihr Vermögen. Sie liefen den Zollfahndern geradewegs in die Arme: Ab Oktober 2001 wurden die Zollkontrollen an den Grenzen zu Luxemburg, der Schweiz und Österreich deutlich verschärft – offensichtlich nicht ganz ohne Erfolg. Die deutschen Grenzbehörden fanden dabei seltsame Geldverstecke: In einem Skistiefel wurde beispielsweise Bares im Wert von 160.000 € entdeckt.

Mit solch amateurhaften Verstecken geben sich professionelle Devisenschmuggler und Schwarzgeldwäscher gar nicht erst ab. So hatten kleinasiatische Drogendealer gleich nach der Einführung des Geldwäschegesetzes zu Beginn der 90er Jahre ganze Truppen von ärmlich gekleideten Landsleuten mit ein paar Tausend € in die deutschen Postämter geschickt, um das Geld, das aus dem Verkauf von Heroin, Crack und Kokain stammte, auf bestimmte Postsparkonten einzuzahlen. Doch dieser simple Trick funktionierte nicht lange. Das Äußere der Kunden, ihre schlechten Sprachkenntnisse, die Frequenz und die Höhe der Einzahlungen passten irgendwie nicht zusammen. Der Geldwäschering, der sich im Hamburger Umland etabliert hatte, flog schnell auf. Erfolg versprechender war da schon die Gründung von Tarnfirmen in Branchen, die wie die Gastronomie und der Einzelhandel traditionell einen hohen Bargeldumsatz haben. Da wurden Umsätze vorgetäuscht und die Erlöse, die aus illegalem Geschäfte stammten, ganz offiziell auf die Geschäftskonten der Scheinbetriebe bei den Banken eingezahlt. War das Kapital erst einmal im offiziellen Geldkreislauf angekommen, konnte es mit ein paar Überweisungen schnell in völlig legale Anlagen umgewandelt werden.

Das Risiko, dass diese Waschanlagen entdeckt wurden, nahm aber zu und deshalb mussten immer wieder neue Möglichkeiten in anderen Märkten ausgespäht werden. Da bot sich der Diamantenhandel zur Reinigung schmutzigen Geldes an oder die Geschäfte in der gehobenen internationalen Kunstszene. In den vornehmen Galerien, die mit teuren modernen Gemälden und Objekten handeln, wird der Preis eines Kunstgegenstandes oft willkürlich festgesetzt – ideale Bedingungen für Geldwäscher.

Oft wird aber auch der Umweg über Osteuropa gewählt, ln Russland und Polen finden sich immer wieder kleine Banken und Finanzinstitute, die gegen hohe Provisionen große Summen Schwarzgeld aus dem Westen annehmen. Dabei bleibt zwischen ein Drittel und die Hälfte des heißen Geldes in den Maschen der Banken hängen.

Korruptionsdschungel
Im Dickicht der internationalen Bankverbindungen landet die schwarze Kohle oft genug gut gereinigt bei Banken in der Schweiz und in Deutschland. Wie gut die Zusammenarbeit zwischen deutschen, schweizerischen und luxemburgischen Finanzinstituten klappt, zeigten die Enthüllungen im Finanzskandal des nigerianischen Abacha-Clans. In die internationale Korruptionsaffäre des nigerianischen Diktators Sani Abacha waren 19 schweizerische Banken, eine deutsche und zwei britische Geldinstitute verwickelt.

Aufgedeckt wurden die Kapitaltransaktionen des Terrorregimes der Abachas nach dem Sturz des Machthabers 1998. Die neue nigerianische Regierung versuchte über eine Genfer Anwaltskanzlei den Verbleib von Geldvermögen in Höhe von 4,3 Milliarden Dollar aufzuspüren, die der Clan während seiner fünfjährigen Schreckensherrschaft dem rohstoffreichen Land geraubt und ins Ausland transferiert hatte.

Die Eidgenössische Bankenkommission nahm die Ermittlungen auf: Zum ersten Mal in der Geschichte des eidgenössischen Bankwesens veröffentlichte sie die Namen prominenter schweizerischer Finanzinstitute, die einem Diktator, der sein Land finanziell und wirtschaftlich ruiniert hatte, geholfen hatten, seine Beute in Sicherheit zu bringen. An erster Stelle auf der Liste der Helfershelfer stand nach Erkenntnissen der Kommission die Credit Suisse Group und die schweizerische Tochtergesellschaft der deutschen M.M. Warburg Bank.

Die Zürcher CSG-Zentrale hat für die Abacha-Brüder Ibrahim und Mohammed rund 214 Millionen Dollar auf diversen Konten und Depots angelegt. Die Warburg-Tochter in Zürich hat von den Abachas knapp 300 Millionen € angenommen, die dann zum großen Teil über die Schwesterbank in Luxemburg weitergeleilet wurden, zitierte Der Spiegel aus dem Bericht der Untersuchungskommission. Auch liechtensteinische Institute, die LGT Bank und die Verwaltungs- und Privatbank wurden in die gigantische Waschaktion einbezogen. Sie schickten 120 Millionen Dollar an den Luxemburger Warburg-Ableger. 450 Millionen Dollar wurden bei britischen Banken, der Hongkong Shanghai Banking Corporation (HSBC) und bei der Barclays Bank untergebracht – und zum Teil wieder in die Schweiz überwiesen. 660 Millionen Dollar haben die Schweizer Justizbehörden seit Beginn der Ermittlungen 1998 arretiert. In ungewöhnlich scharfer Form kritisierte die Eidgenössische Bankenkommission die Arbeit der Geldinstitute im Auftrag des Diktators: Den Banken wurden gravierende Mängel und grobes individuelles Versagen sowie die krasse Fehleinschätzung einer Kundenbeziehung bzw. Ignorieren von Anhaltspunkten für eine möglicherweise dubiose Herkunft der anvertrauten Gelder vorgeworfen, so der Bericht des Nachrichtenmagazins Der Spiegel.

Allein bei der Luxemburger Warburg-Bank summierte sich das im Namen der räuberischen Familie angelegte Geld auf weitere 1,3 Milliarden €, neue Regelungen für den Umgang mit ausländischer Kundschaft eingeführt, doch die Altlasten, die andere Machthaber und Potentaten in den Tresoren der schweizerischen Banken liegen haben, werden nur zögerlich und meist auf Druck neuer Regierungen ans Licht gebracht.

So musste beispielsweise der kroatische Regierungschef Stjepan Mesic beim Schweizer Außenminister Joseph Deiss persönlich vorsprechen, um die Suche nach Millionen von Dollars zu unterstützen. Diese soll der Sohn des früheren kroatischen Diktators Franjo Tudjman für Familie und Freunde in schweizerische Banken angelegt haben. Mit Waffenhandel und Geldwäsche für die russische Mafia soll der Tudjman-Clan eine Milliarde Dollar erbeutet haben.

Der gestürzte jugoslawische Staatschef Slobodan Milosevic, der sich vor dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal wegen Völkermord verantworten muss, soll nach Informationen von Geheimdiensten mindestens eine eiserne Reserve von 100 Millionen Dollar in der Schweiz zurückgelegt haben. Auch der frühere peruanische Geheimdienstchef Vladimiro Montesino, dem Menschenrechtsorganisationen Völkermord, Folter, Korruption und Waffenhandel vorwerfen, soll Gelder in Höhe von mindestens 50 Millionen Dollar über israelische und kanadische Banken in die Schweiz geschafft und auf mehreren Konten deponiert haben. Solche Enthüllungen wundem in der Schweiz eigentlich niemanden mehr, sie bestätigen nur noch einmal deutlich, was der bekannteste Kritiker der verschwiegenen eidgenössischen Bankerzunft, Jean Ziegler, schon immer gesagt hat: Die Schweiz bleibt der größte Offshore-Platz der Welt, dessen Institute noch immer das Vertrauen von Diktatoren, Mafia-Fürsten und korrupten Staatsdienern genießen.

Da wundert es schon eher, wenn Banker selber mit dem schmutzigen Blutkapital nichts mehr zu tun haben wollen. Wir brauchen solche Gelder von Diktatoren nicht, erklärte ein Spitzenmanager der Credit Suisse unter dem Druck der öffentlichen Kritik an dem Geschäftsgebaren der Banken. Auch für das deutsche Bankgewerbe war der Fall Abacha keine Ausnahmeerscheinung. Die bislang wohl heißeste Spur nahm die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft im Jahr 1997 bei der WestLB auf. Danach soll das öffentlich-rechtliche Institut für die Trans-World- Gruppe (TWG), einen internationalen Rohstoffkonzern, der seit Jahren verdächtigt wird, Geld für die russische Mafia zu waschen, mehrere Konten eröffnet haben. Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen seit 1997 3,7 Milliarden € des Konzerns, der zu den größten Aluminiumproduzenten der Welt gehört, über die WestLB-Konten geflossen sein.

Vermittelt haben soll die Bankverbindung ein früherer Manager der WestLB, der sich aber Anfang 1997 zu einer Bank auf die Bahamas abgesetzt habe. Allerdings wird auch dieses Institut dem Einflussbereich der TWG zugerechnet, die als weltweit operierendes Konglomerat aus mehr als 100 Firmen besteht. Nach der Entdeckung der dubiosen Bankverbindung wurde die WestLB 1999 von der Staatsanwaltschaft gebeten, die Konten weiterzuführen. Diese kontrollierte Geldwäsche ist zwar unter Experten höchst umstritten, doch die Ermittler erhofften sich dadurch Erkenntnisse über die Geschäfte des Bankkunden.

Als die WestLB im November 1999 die Konten der TWG schließlich kündigte, betrug das Guthaben noch insgesamt eine Milliarde €, der größte Teil dieses Geldes soll dann nach Israel transferiert worden sein. Und damit wurde es dem Zugriff der deutschen Staatsanwaltschaft entzogen, denn Israel gilt bei Geldwäschedelikten als unkooperativ.

Die Geldquellen der Terroristen heutzutage – hilfreiche Information

Seit dem 11. September 2001 ist auch in der Welt des großen Geldes alles anders – zumindest für die großen Finanzinstitute in den westlichen Industrieländern. Die verheerenden Anschläge auf das New Yorker World Trade Center haben ihnen nicht nur vor Augen geführt, wie verwundbar ihr dicht geknüpftes Netz weltweiter Kapitalverbindungen ist, sondern sie mussten auch erkennen, dass sie längst die Übersicht über ihre weitläufigen Imperien verloren haben und nicht mehr wissen, mit wem sie eigentlich ihre Milliardengeschäfte abwickeln.

Nur kurze Zeit nach den Terroranschlägen wandte sich US-Präsident George W. Bush mit einem dringenden Appell an die internationale Hochfinanz: Banker und Broker sollten ihn weltweit bei seinem Krieg gegen den internationalen Terrorismus unterstützen. Eilig verteilten Bushs Beamte eine Liste von Personen, Firmen und Organisationen, deren Konten sofort eingefroren werden sollten. Darunter waren – erwartungsgemäß – die ersten Adressen der islamistischen Terrorszene zu finden: Al-Qaida, die Basistruppe des mutmaßlichen Topterroristen Osama Bin Laden; die ägyptische AI-Djihad-Organisation; die algerische GIA; die philippinische Abu Sayyaf; drei islamistische Wohlfahrtsorganisationen; eine Im- und Exportfirma sowie alle Konten, die Bin Laden und seinen Gefolgsleuten namentlich zugeordnet werden konnten.

Helft uns in diesem Kampf, drohte Bush der Finanzwelt, oder wir werden euch dafür bestrafen, dass ihr denjenigen die Mittel gegeben habt, die diese grauenvollen Anschläge erst möglich gemacht haben. Das klang ganz anders als vor den Anschlägen in New York und Washington. Damals hatten die Republikaner im US-Kongress noch eine Gesetzesvorlage in Bausch und Bogen abgelehnt, die die Banken zur Zusammenarbeit gegen den Terrorismus verpflichten sollte. Dabei fehlte es schon damals nicht an Hinweisen, dass die international operierenden islamistischen Terrorbanden über ein weit verzweigtes finanzielles Netzwerk gebieten und ihr Vermögen global gestreut haben. Bei ihren Kapitaltransfers nutzen die Terroristen auch die weltweiten Verflechtungen der großen Finanzinstitute der westlichen Industriestaaten – und oft wurden diese Operationen so diskret vollzogen, dass die großen Bankkonzerne kaum Verdacht schöpfen konnten.

Das finanzielle Netzwerk des Terrors
Nur wenn sich wie bei den Terrorangriffen vom 11. September konkrete Hinweise ergeben, können die Spuren solcher Transaktionen aufgenommen werden. Oft führen sie auch nach Deutschland.So wurde, knapp drei Tage nach den Anschlägen in den USA, in einem kleinen Gremium der Deutschen Bank eine dubiose Kundenbeziehung aufgedeckt. Es ging um Ausleihungen und Beteiligungen an die Firma Cambridge Engineering Systems Limited mit Sitz auf den Cayman-Inseln. Haupteigentümer der Firmengruppe in der karibischen Geldwäscher-Oase, so hatte ein Bankmanager entdeckt, ist die saudiarabische Familie Bin Laden. Aber auch die Deutsche Bank zählte zu den Aktionären.

Wem in der weit verzweigten Dynastie der Bin Ladens mit ihrem eng verschachtelten Firmengeflecht was gehört, konnten die Banker kaum erkennen. Bei den zahllosen Halbbrüdern oder Neffen von Terroristenchef Osama Bin Laden und ihren vielfältigen Geschäften mussten die Finanzmanager schnell passen. Nicht einmal die Frage, ob die Deutsche Bank Geschäfte mit Kriminellen macht oder ob er nur Partner der bislang unbescholtenen Saudi Binladin Group (SBG) ist, die der Vater Osama Bin Ladens einst gegründet hatte, ließ sich klären.

Die Deutsche Bank steht mit ihrem Verdacht nicht allein: Alle großen Institute in den USA, in Europa und in Japan haben Dutzende von Mitarbeitern damit beauftragt, verdächtigen Kunden- und Kontenverbindungen nachzuspüren. Akribisch suchen hausinterne Experten, so genannte Compliance Officers, jeden Hinweis, der zu den Attentätern führen könnte.

US-Präsident George W. Bush hatte drakonische Sanktionen angekündigt, falls Staaten und Banken nicht mit den Amerikanern kooperierten: Wer Terroristen unterstützt, müsse damit rechnen, dass seine Konten in den USA eingefroren würden. Notfalls müssten die Staaten, in denen die betroffenen Finanzinstitute ihren Sitz haben, ihre Gesetze ändern.

So lief zwischen Washington und Zürich, London und Tokio eine Fahndungsaktion von ungeahnten Ausmaßen an. Die Banker wurden in ein weltweites System staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen eingebunden. Stapelweise lieferten sie Verdachtsmeldungen an die Fahnder. Die offensichtlichen Spekulationsgeschäfte kurz vor dem Anschlag, die Bewegungen auf den Konten der Selbstmordattentäter und das finanzielle Treiben zahlreicher islamischer Banken – alles wurde gemeldet.

Doch die Ergebnisse der weltweiten Aktion blieben mager, ln Deutschland sind derzeit gerade mal 160 Konten im Gesamtwert von 600.000 Euro eingefroren worden, bei denen der Verdacht bestehe, dass sie von terroristischen Organisationen genutzt würden, erklärte Alfred Tacke, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, im Juni 2002 in der Tageszeitung Die Welt. Vor einigen Monaten war noch die Rede von über 200 gesperrten Konten gewesen – mit Guthaben von 4,5 Milliarden Euro. Später stellte sich dann heraus, dass zu den konfiszierten Konten auch Staatskonten Afghanistans gehörten, die unter dem Taliban-Regime gesperrt, aber nach der Vertreibung des islamistischen Regimes wieder freigegeben worden waren.

Nicht viel besser erging es den Fahndern in den USA. Zwar wurden schnell lange Listen von verdächtigen Personen und Organisationen produziert, doch bei näherem Hinsehen zeigte sich, dass viele der arabischen Namen durch unterschiedliche Schreibweisen mehrfach aufgeführt waren. Manche der gelisteten Personen waren außerdem bereits verstorben.

Das angesehene britische Wirtschaftsmagazin Economist berichtete, dass nach Angaben der UN einige Transferkanäle, die terroristische Organisationen benutzt hätten, trockengelegt wurden. So konnten bisher neun Wohlfahrtsorganisationen, die vor allem für islamistische Terroristen Geld eingetrieben haben, enttarnt werden. Die wirklich großen mutmaßlichen islamistischen Unterstützungsverbände konnten von den Fahndern aber noch nicht untersucht werden – sie haben ihren Sitz in Saudi-Arabien und stehen unter dem Schutz dieses Staates. Frustriert mussten die Ermittler erkennen, dass nicht einmal in den USA alle Schlupflöcher im Finanzsystem geschlossen wurden. So sind zwar die Banken, nicht aber Versicherungen, Aktienhändler und Wechselstuben dazu verpflichtet, verdächtige Geldtransfers zu melden.

Die Geldquellen der Terroristen
Doch auch ohne diese Pannen ist das Aufspüren des finanziellen Netzwerks der Terroristen ausgesprochen mühsam. Milliarden von Finanztransaktionen werden jeden Tag ausgeführt. Allein die Menge des Geldes, das jährlich gewaschen wird, beläuft sich nach Schätzungen der OECD auf etwa 1,5 Billionen Dollar. Wer die Verstrickung des Global Banking in die dunklen Machenschaften des internationalen Terrors aufdecken will, muss deshalb erst einmal die Geldquellen und Transfernetze der organisierten Kriminalität erkennen. Schon bei der Summe des weltweit im Umlauf befindlichen Terrorgeldes gibt es nur grobe Annäherungswerte. Terroristische Organisationen verfügen über ein sofort abrufbares Kapital von 30 bis 50 Milliarden Dollar, schätzt der österreichische Finanzwissenschaftler Friedrich Schneider, der zu den ganz wenigen Experten zählt, die die Kapitalbeschaffung von Terrorgruppen untersucht haben.

Die islamistischen Bewegungen zählen nach Erkenntnissen Schneiders zweifellos zu den reichsten: Ihnen rechnet der Terrorismusexperte rund 60 Prozent des Terrorkapitals zu. Weitere 20 Prozent entfallen nach seiner Analyse auf rechtsextremistische Vereinigungen wie die Grauen Wölfe in der Türkei, die Grauen Wikinger in Skandinavien, rechtsextreme Gruppen in den USA und in Deutschland. Den Rest teilen sich die deutlich ärmeren lateinamerikanischen Guerillabanden in Kolumbien, Peru und Bolivien sowie Organisationen wie die baskische ETA oder die irische IRA. Je nach Schwerpunkt der politischen Ziele stammen die Einnahmen aus dem Drogenhandel, aus Spenden und Schützgelderpressung, Entführung und Raub. Bei ihrer Kapitalbeschaffung unterscheiden sich terroristische Organisationen nicht wesentlich von den kriminellen Vereinigungen, erklärte Ricco Koslowski von der Sicherheitsberatung Control Risks in Deutschland in der Zeitung Die Woche. Nur ein kleiner Anteil der Einnahmen dürfte aus legalen Geschäften, Baufirmen, Farmen sowie Im- und Exportfirmen stammen, wie sie der Topterrorist Osama Bin Laden im Sudan aufgebaut hat.

Islamistische Gruppen wie die 1988 gegründete Al-Qaida verdienen vor allem am Rauschgifthandel. So soll Bin Laden von der afghanischen Hezb-i-Islami den Drogenhandel übernommen haben und den Export der Ware in den Westen kontrollieren. Derzeit stammen 80 Prozent der weltweiten Heroinproduktion aus Afghanistan. Neben Bin Ladens Leuten war auch das Taliban-Regime an den Drogengeschäften beteiligt. Den Anbau von Mohn hatten die ehemaligen afghanischen Machthaber ursprünglich aus Glaubensgründen verboten, später aber gegen Zahlung hoher Steuern wieder zugelassen. Zu den Profiteuren am Heroingeschäft zählen auch die algerische GLA, die enge Verbindungen zur Al-Qaida- Organisation unterhält, sowie – nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste – die kurdische PKK und die UCK im Kosovo. Terrorismusexperte Schneider schätzt, dass rund die Hälfte der Einnahmen der großen Terrororganisationen aus dem Drogenhandel stammt.

Die ärmeren europäischen Organisationen wie die baskische HTA oder die IRA sind vorwiegend auf Spenden aus der Bevölkerung und von Sympathisanten angewiesen. Die baskischen Separatisten pflegen jedoch enge Kontakte zu Libyen, Nicaragua, Kuba und zum Libanon. Islamistische Gruppierungen werden auch von einzelnen arabischen Staaten unterstützt: Syrien, Sudan, Irak oder der Libanon greifen den Fundamentalisten immer wieder unter die Arme. Undurchsichtig ist aber auch die Rolle der Vereinigten Arabischen Emirate, die sich dem Westen gegenüber gern als moderner und liberaler arabischer Staat präsentieren. Doch alle 19 Attentäter, die an den Anschlägen in den USA beteiligt waren, sollen Geld aus dem Ölstaat am persischen Golf erhalten haben, um ihre Flugstunden und den Aufenthalt in den USA zu finanzieren. Der mutmaßliche Attentäter Marwan al-Shehi, der den Jet in den Südturm des World Trade Centers steuerte, war Staatsbürger der VAE und soll für sein Studium an der Hamburger TU ein Stipendium von den Vereinigten Arabischen Emiraten erhalten haben. 100.000 Dollar wurden ihm zudem ratenweise über eine Geldwechselstube im Emirat Shardja zugesandt. Der mutmaßliche Anführer der Terroristen von New York und Washington, Mohammed Atta, soll nach Angaben der US-Terrorismusfahnder mehr als 100.000 Dollar von verschiedenen Banken aus den Vereinigten Arabischen Emirate erhalten haben.

Unterstützt werden die radikal-islamistischen Bewegungen aber auch von einflussreichen arabischen Familien in den Golfstaaten, Algerien und Ägypten. Diese geben die großzügigen Spenden an die Fundamentalisten in der Hoffnung, dass die Gotteskrieger die Amerikanisierung ihrer Kultur verhindern. Davon profitieren vor allem Bin Ladens Al-Qaida, die algerische GIA, die palästinensische Hamas, die ägyptische Gama’a und die libanesische Hisbollah.

Dazu kommen Gaben der Gläubigen im Ausland. Nach dem Freitagsgebet wird in vielen Moscheen zur Kasse gebeten. Das Geld leiten lokale Wohlfahrtsorganisationen an einen der 20 islamischen Wohltätigkeitsverbände weiter, deren bekanntester die International Islamic Relief Organisation (IIRO) ist. Es besteht der Verdacht, dass hinter der Fassade frommer Mildtätigkeit in manchen Organisationen oft auch der Nahkampf und der Umgang mit Waffen trainiert werden. Nach Erkenntnissen der Geheimdienste zählt auch das Al-Kifah-Zentrum im New Yorker Stadtteil Brooklyn, dessen Konten auf Anweisung von Präsident Bush eingefroren wurden, zu diesen verdächtigen Organisationen. Die philippinische Rebellenorganisation Abu Sayyaf, die durch spektakuläre Entführungen von europäischen und amerikanischen Touristen immer wieder Aufmerksamkeit erregte, soll Geld aus den Golfstaaten oder Südostasien erhalten haben.

Online-Transfers und Underground Banking Nicht immer zahlen arabische Geschäftsleute freiwillig: Schutzgelderpressung ist ebenfalls eine weit verbreitete Methode der Kapitalbeschaffung. Der amerikanische Geheimdienst entdeckte 1999, dass fünf saudi-arabische Topmanager drei Millionen Dollar auf Konten der International Islamic Relief Organisation, die von Bin Ladens Al-Qaida kontrolliert wird, überwiesen hatten. Sie gaben damals zu, dass es sich um Schutzgeldzahlungen handele, um Attacken gegen ihre Unternehmen abzuwenden. Aufgedeckt wurde dieser Transfer bei einer Prüfung des saudi-arabischen Staatshaushalts auf Druck der USA. Das Geld floss von der größten Bank des Königreichs an Institute in New York und London.

So viel Glück haben Ermittler selten. Denn Terroristen wissen ihre Kapitaltransfers gewöhnlich gut zu tarnen: Sie können höchst effizient die Errungenschaften modernster Internet-Technologie mit archaischen Übermittlungsmethoden kombinieren. Online- Transfers sind ebenso üblich wie das seit Jahrhunderten bewährte Underground Banking, bei dem vertrauenswürdige Geschäftsleute als inoffizielle Bankiers fungieren. Sie nehmen Geldbeträge in einem Land entgegen und veranlassen ihren Partner in einem anderen Staat, diesen Betrag auf ein bestimmtes Zeichen hin auszuzahlen. Mit diesem auch Hawala Banking genannten Verfahren werden alle Devisenkontrollen und Meldeverfahren ausgehebelt.

Allein in den sieben Teilemiraten der Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es neben 47 Banken auch 105 offiziell zugelassene Geldwechselstuben. Wie viele Hawala Banker es tatsächlich gibt, lässt sich nicht einmal ahnen. Denn dieses Verfahren wird selten mit offiziellen Finanzgeschäften kombiniert, sondern vielmehr von Hinterzimmern aus gesteuert.

Über das Transfervolumen dieses Kapitalverkehrs, der kaum Spuren hinterlässt, existieren nur grobe Schätzungen, die der Finanzwissenschaftler Schneider 2001 durch Umfragen unter Schattenbankern gewonnen haben will. Danach sollen seit 1995 im Iran, in Pakistan, Afghanistan und auf der arabischen Halbinsel 20 bis 30 Milliarden US-Dollar im Hawala-Verfahren bewegt worden sein Doch auch im offiziellen Kapitalverkehr schlagen die Finanzminister der Terrorgruppen so viele Haken und gehen so geschickte Umwege, dass jede Ermittlungsbehörde die Spur des Geldes nur schwer verfolgen kann. Da müssen Ermittler Zigtausende von Konten überprüfen, die Tausende von Anwälten, Treuhänder und Wirtschaftsprüfer anlegen, sagt Control-Risks- Ermittler Koslowski.

Der Baseler Strafrechtsexperte Mark Pieth hat die einzelnen Stufen des Kapitaltransfers analysiert: Auf der untersten Stufe stehen die Insider der Organisation, die auf die Ideologie eingeschworen sind, selbst aber keine Ahnung von Finanzen haben. Sie suchen sich die Bankiers ihres Vertrauens meist unter den Finanziers im Libanon oder auf Zypern, die als Mittelsmänner das Terroristengeld übernehmen, um es in den weltweiten Kapitalstrom einfließen zu lassen. Diese Arbeit erledigen Treuhänder, Berater, Steueranwälte oder Wirtschaftsprüfer, die oft mit den Geschäftsbanken unter dem Vorwand, Steuersparmodelle zu entwickeln, spezielle Geldanlagen aushandeln. Solche Anlageberater gibt es an allen großen Finanzplätzen dieser Welt – natürlich auch in Frankfurt.
Oft nutzen Terroristen aber auch Offshore-Institute. Viele Bankhäuser in den Schwarzgeld-Paradiesen werden ausschließlich zum Zweck der Geldwäsche gegründet. Für 2.000 Dollar kriegt jeder dort eine Banklizenz, weiß Koslowski. Und wenn es dort brenzlig wird, ist die Bank dicht und das Geld weg. Die Spur versandet am Strand von Nauru, einem der zahlreichen Geldwäsche-Paradiese im Pazifik.

Noch größer werden die Probleme, wenn es sich gar nicht um Schwarzgeld handelt, sondern um zunächst legal erworbene Profite von Firmen oder Stiftungen. Strohmänner können das Geld dann auf getarnte Konten von Terrororganisationen überweisen, ehe es auf Umwegen bei den aktiven Terroristen landet.

Deshalb ist es längst nicht damit getan, die Namen der Verdächtigen in die zentralen Kundendateien der Banken einzugeben. Denn selbst wenn die Namen gefunden werden, wie etwa bei der Hamburger Sparkasse, wo einer der im Zusammenhang mit dem New Yorker Attentat Gesuchten ein Konto hatte, dann bleibt das Problem, den Weg des Geldes zu den Finanziers des Terrors zurückzuverfolgen.

Der Niedergang der Herlitz AG – detailliertere Information

Millionen von Schulkindern kennen diesen Namen, er prangt auf Schulheften, Ringbüchern, Schreibpapier und Zeichenblöcken. Seit 1904 beliefert die Berliner Firma Herlitz ABC-Schützen wie Gymnasiasten mit ihren Erzeugnissen. Erst als Großhandlung, seit 1953 aus eigener Produktion. Seit dem 3. April 2002 ist das Traditionsunternehmen pleite, der bisher letzte Vorstandschef Christian Supthut hat einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg gestellt. Jetzt prüft der vom Gericht bestellte Insolvenzverwalter, der Rechtsanwalt Peter Leonhardt, ob die fast 100 Jahre alte Firma wenigsten in Teilbereichen gerettet werden kann. 3.000 Mitarbeiter bangen um ihre Arbeitsplätze.

Der Aktienkurs des seit 1977 an der Börse notierten Unternehmens sank bereits im Verlauf Vortages, als die Gerüchte über die drohende Zahlungsunfähigkeit des einstigen Familienunternehmens immer konkreter wurden, um 35 Prozent auf 0,90 Euro. Vor einem Jahr kostete das Papier noch knapp fünf Euro. Im Jahr 1994 notierte der Kurs noch bei mehr als 100 Euro.

Managementfehler
Der Absturz kam auf Raten: Allzu großzügig hatte der größte deutsche Schreibwarenhersteller expandiert, Tochtergesellschaften gegründet und in neue Vertriebswege investiert. Doch dann ruinierten neue Konkurrenten wie der US-Anbieter Staples die Margen in einem ohnehin schrumpfenden Markt. Schwer zu schaffen machte Herlitz aber auch der Verlust der Berlin-Beihilfen, die das Unternehmen bis zur Einstellung der Subventionen Ende 1994 kassiert hatte. Ein Jahr später begann der Absturz in die Miesen. Der Bau eines überdimensionierten Logistikzentrums, das jährlich 20 Millionen Euro an Leerstandskosten verursacht, beschleunigte die Talfahrt. Obendrein schwächten häufige Wechsel in der Chefetage die Verhandlungsposition des Managements gegenüber den Banken und behinderten immer wieder die Sanierungsarbeit.
Im März 2001 hatte schließlich ein Bankenkonsortium 70 Prozent der Herlitz-Aktien übernommen. Die Schulden beliefen sich auf insgesamt 350 Millionen Euro bei einem Umsatz von rund 500 Millionen Euro.

Zu den größten Kreditgebern gehörten die HypoVereinsbank mit 17 Prozent, und die schwer angeschlagene Bankgesellschaft Berlin mit 15,15 Prozent. Die Deutsche Bank ist mit 13,10 Prozent beteiligt, die Westdeutsche Landesbank mit 9,14 Prozent und die Bayerische Landesbank mit 7,72 Prozent. Weitere Kreditgeber sind die Dresdner Bank, das Bankhaus Delbrück, die DZ Bank sowie Trinkaus ft Burkhardt.

Im Februar 2002 wurden einige der Geldgeber unruhig und drohten die Kreditlinien zu kappen. Den Vorwand für den Ausstieg lieferten die Unternehmensergebnisse des Geschäftsjahres 2001. Der Verlust war mit 50 Millionen Euro mehr als doppelt so hoch ausgefallen wie das vorher prognostizierte Minus von 20 Millionen Euro. Der Umsatz war durch die schlechte Konjunkturlage sowie den Verkauf von Tochtergesellschaften in Portugal und Frankreich um rund 20 Prozent auf 438 Millionen Euro eingebrochen.

Wurde die Reißleine zu früh gezogen?
Als die Banken die Reißleine zogen, war Herlitz bereits – so jedenfalls die Stellungnahme von Vorstandschef Supthut in der FAZ – auf dem Wege der Besserung: Der Insolvenzantrag sei bedauerlich, weil er zu einem Zeitpunkt komme, in dem Herlitz erstmals positiv vom Plan abweiche. Herlitz habe sich von Geschäftsbereichen getrennt. Im ersten Quartal sei das Ertragsziel um vier Millionen Euro übertroffen worden, wird Herlitz-Vertriebsvorstand Norbert Strecker in der Zeitung zitiert. Saisonbedingt sei allerdings ein – nicht bezifferter – Verlust entstanden. Dennoch waren die beiden Herlitz-Manager zuversichtlich, dass der Schreibwarenhersteller trotz eines operativen Verlustes für das Gesamtjahr, 2003 eine Umsatzrendite von zwei bis drei Prozent schaffen könne – wenn die Firma von ihren Altlasten befreit würde.

Soweit mochten die Kreditinstitute jedoch nicht mehr gehen. Unter der Führung der Deutschen Bank forderte das Konsortium vom Berliner Senat und der Landesregierung Brandenburgs eine Bürgschaft über 20 Millionen Euro. Als die Politik nur neun Millionen Euro anbieten konnte, senkten die Banker den Daumen.

Jetzt versucht der Insolvenzverwalter zu retten, was noch zu retten ist. Für die Banken ist eine Verwertung der Firma, wenn sich bereits erste Sanierungserfolge abzeichnen, keine unprofitable Lösung. Die Filetstücke können leichter und zu besseren Preisen abgestoßen werden. Die restlichen Verluste werden ohnehin vergesellschaftet, sie helfen mit, die Steuerlast der Banken zu senken.

Für Management und Belegschaft des Traditionshauses Herlitz bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Banken mit zweierlei Maß messen. Während einige Unternehmer mit luftigen Sicherheiten und windigen Prognosen Kredite in Milliardenhöhe abgreifen konnten, werden mittelständische Unternehmen mit handfesten Produkten und langer Firmengeschichte kurzgehalten und schneller fallen gelassen. Erst nachdem der Berliner Senat mit einem Massekredit von 15 Millionen Euro die Fortführung der laufenden Geschäfte gesichert hatte, waren auch die Banken bereit, Herlitz eine weitere Chance zu geben.

Fragwürdige Steuersparmodelle der Banken besser verstehen – hilfreiche Information

Zu den höchst fragwürdigen Geschäften der deutschen Banken gehörte in den vergangenen zwölf Jahren der Verkauf von Immobilien als Steuersparmodelle und zur Kapitalanlage. Viele dieser angepriesenen Sahnestücke des Immobilienmarktes, die ihnen Vermögensberater – oft genug bei Hausbesuchen – so eilfertig offerierten, erwiesen sich nach Vertragsabschluss schnell als echte Ladenhüter: es handelt sich oftmals um überteuerte Schrottimmobilien, mit denen der Eigentümer nie eine vernünftige Rendite erzielen wird. Hunderttausende von Anlegern wurden damit gelockt – und viele von ihnen sitzen heute in einer Schuldenfalle.

Immobilie und Finanzierung aus einer Hand
Zu den Opfern dieser speziellen Abzocke zählte auch Lothar H. Der Münchner ließ sich 1992 von einem Vermittler zum Kauf einer Ferienwohnung bei Passau für rund 65.000 Euro überreden. Der Vermittler bot gleich eine Vollfinanzierung durch die damalige Bayerische Vereinsbank, heute HypoVereinsbank, mit an. Der gewiefte Kreditvermittler hatte auch eine Beispielrechnung parat. Danach hätte H. in den ersten drei Jahren Steuerrückerstattungen vom Finanzamt bekommen. In den folgenden Jahren hätte er pro Monat knapp 100 Euro zusteuern müssen.

Doch daraus wurde nichts. Erst ging der Bauträger pleite. H. und die anderen Eigentümer mussten Geld nachschießen, um den Bau fertig zu stellen. Dann kamen weniger Feriengäste als versprochen. Traurige Bilanz: Die Wohnung kostet H. monatlich 500 Euro, die Einnahmen belaufen sich nur auf 75 Euro. Die gesamte Finanzierung wird ihn 15 Jahre belasten. Verkaufen kann er die Wohnung auch nicht, denn er würde gerade mal die Hälfte des Kaufpreises erlösen, schätzt der geprellte Anleger.

Kolonnen am Drücker
Ein ähnliches Schicksal ereilte eine Kundin der HypoVereinsbank, früher Bayerische Hypothekenbank. Auch ihr wurde von einem Kreditvermittler eine lohnende Kapitalanlage zur Altersvorsorge, die zudem staatlich gefördert sei, in Aussicht gestellt. Das Risiko sei gleich null, versicherte der Mitarbeiter eines Strukturvertriebs, spezieller Drückerkolonnen im Finanzgewerbe, immerhin habe eine große deutsche Bank alles geprüft. Als die Kundin zögerte, machte der Verkäufer Druck. Die Anlegerin sollte nicht zu lange überlegen, für diese Immobilien gäbe es viele Interessenten. Sie schlug ein und kaufte – ohne vorherige Besichtigung – eine Dreizimmerwohnung in der brandenburgischen Provinz.

Natürlich konnte der Verkäufer auch gleich die Finanzierung des Filetstücks arrangieren und den Vertrag über ein Darlehen von mehr als 300.000 € unterschriftsreif vorlegen. Die Kundin unterschrieb auch dieses Formular. Danach ging es bergab. Gleich nach dem Vertragsabschluss stellte sich heraus, dass das Schnäppchen in Wirklichkeit purer Nepp war. Die Wohnung steckte voller Mängel und war schlecht vermietbar. Für dieses völlig überteuerte Objekt ist die junge Frau jetzt mit über 300.000 € verschuldet. Statt Vermögen zu bilden, zahlt sie monatlich 2.000 € an die Bank.

Prächtige Zinsen aus mittleren Einkommen
Insgesamt ist nach Schätzungen von Experten 300.000 Immobilienkäufern ein Schaden in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro entstanden. Viele der geprellten Kunden sind Bezieher mittlerer Einkommen und stecken tief in den Miesen. Sie sind Opfer einer ausgeklügelten Geldschluckmaschine geworden, mit der Bankmitarbeiter und Vermittler gemeinsam ein Ziel verfolgen: an das Geld gutgläubiger Kunden heranzukommen und sich an überhöhten Krediten zu bereichern.

Bisher hatten die abgezockten Kunden keine Chancen ihre missliche Lage zu ändern. Erst am 9. April 2002 hat der Bundesgerichtshof den Würgegriff der Banken gelockert. Die Richter des XI. Senats entschieden nicht nur, dass das Widerrufsrecht, das allgemein für Haustürgeschäfte gilt, auch auf Finanzgeschäfte anzuwenden sei, die bei Vertreterbesuchen abgeschlossen werden. Sie gingen sogar noch einen Schritt weiter und hoben die Befristung des allgemeinen Rücktrittsrechts für Kreditvermittlungen auf.

Danach ist der Widerruf des Kreditvertrags unbefristet möglich, wenn eine so genannte Haustürsituation vorlag und wenn keine korrekte Widerrufsbelehrung erfolgte. Umstritten ist allerdings noch, ob nur der Darlehensvertrag oder auch der Immobilienkauf widerrufen werden können. Die HypoVereinsbank ist der Ansicht, dass die Widerrufsmöglichkeit nur für den Darlehensvertrag, nicht aber für den Kaufvertrag gelte.

Träfe dies zu, wären die betroffenen Kunden in einer misslichen Lage, sie müssten bei einem Widerruf das Darlehen auf einen Schlag zurückzahlen, blieben aber auf ihrer überteuerten Immobilie sitzen. Der Bankrechtexperte Professor Hans-Peter Schwinlowski ist deshalb der Meinung, dass die Verträge rückwirkend widerrufen werden dürfen, das gilt für den Immobilienverkauf einerseits und andererseits auch für das Darlehensgeschäft, jedenfalls dann wenn beide Verträge in einer Haustürsituation wurzeln.

Rechtsbeistand aufsuchen
Vielen Anlegern ist oftmals nicht klar, ob sie das Opfer eines Haustürgeschäfts wurden. Der Bundesverband der Verbraucher- zentralen empfiehlt deshalb betroffenen Bankkunden, sich juristisch beraten lassen. Es könne auch dann eine Haustürsituation vorliegen, wenn der Vertrag nicht in der Wohnung des betroffenen Verbrauchers zustande gekommen ist, sondern an seinem Arbeitsplatz oder bei einer öffentlichen Veranstaltung.

Nach diesem BGH-Urteil können die geprellten Anleger ein wenig Hoffnung schöpfen, aus ihrer Schuldenfalle glimpflich – ohne allzu große Verluste – herauszukommen.
Im deutschen Geldgewerbe sorgte dieses Urteil für erhebliche Unruhe. Die betroffenen Banken, allen voran die HypoVereinsbank, müssen nun Massenrücktritte und Rückzahlungsforderungen in Milliardenhöhe fürchten.

Die Angst macht allerdings auch erfinderisch. Die HypoVereinsbank versuchte mit Abgeltungserklärungen die geprellten Anleger nochmals über den Tisch zu ziehen. Wird eine solche Erklärung unterschrieben, verzichtet der Investor darauf, seine Ansprüche gegen die Bank geltend zu machen. Diese Erklärungen sind allerdings verboten.

Die Korruption und die Krise in Argentinien – detailliertere Information

Im Dezember 2001 versammelten sich Tausende von Menschen im Zentrum von Buenos Aires auf der Plaza de la mayo, wo früher – unter der mörderischen Diktatur der Generäle – sich die Mütter trafen, um gegen die Verschleppung und Ermordung ihrer Söhne und Töchter zu protestieren. Wie damals, in den letzten Tagen des Militärregimes, hatten sie Kochtöpfe, Trillerpfeifen und Sirenen mitgebracht.

Mit der schrillen Kakophonie wollten die Demonstranten auf ihre katastrophale wirtschaftliche Lage aufmerksam machen. Nach vier Jahren Rezession waren die Menschen in einer hoffnungslosen Situation: Jeder dritte Argentinier im erwerbsfähigen Alter war arbeitslos, das öffentliche Gesundheitswesen kollabierte, die Gehälter von Staatsbediensteten sowie die Renten waren gekürzt worden. Viele Familien lebten bereits unterhalb der Armutsgrenze. Die Preise für Lebensmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs stiegen immer schneller. Als dann noch die Regierung des angeschlagenen Präsidenten Fernando de la Rüa am 1. Dezember 2001 die Sparguthaben einfrieren ließ und jedem Argentinier nur Barabhebungen von 1.500 Pesos (952 Euro) pro Monat gestattete, schlug der Frust der Menschen in Wut um. Der Generalstreik, zu dem am 12. und 13. Dezember 2001 die Opposition und die Gewerkschaften aufgerufen hatten, der achte innerhalb von zwei Jahren, eskalierte. Bankfilialen und Autos gingen in Flammen auf, Straßenblockaden legten den gesamten Verkehr lahm.

Seitdem gab es mehr als 1.600 solcher Blockaden und im Juni 2002 weitere Tote. Die Polizei hatte zwei arbeitslose Demonstranten beim Errichten einer Straßensperre erschossen. Doch an der verzweifelten Situation des Landes hat sich nichts geändert. Argentinien ist pleite, Staatsschulden von 142 Milliarden Dollar haben de la Rua und sein Vorgänger Carlos Menem an- gehäuft. Die Wirtschaft schrumpft seit 1999. Allein in diesem Jahr wird sich das Bruttoinlandsprodukt um wenigstens zehn Prozent verringern, prognostizieren Konjunkturforscher vom Institut der Deutschen Wirtschaft. Der argentinische Peso verlor im Verhältnis zum Dollar im ersten Halbjahr 2002 rund 75 Prozent seines Wertes.

Fatale Wechselkursbindung
Begonnen hatte der Abstieg Argentiniens jedoch schon vor zehn Jahren, als der ehemalige Wirtschafts- und Finanzminister Domingo Cavallo, ein Absolvent der renommierten amerikanischen Harvard Universität, auf Empfehlung des Internationalen Währungsfonds die argentinische Landeswährung, den Peso, an den Dollar koppeln ließ. Fortan entsprach ein argentinischer Peso einem US-Dollar. Dank dieser Verankerung konnte der Wechselkurs der Währung des Schwellenlandes Argentinien zunächst stabilisiert und die Inflation gebremst werden. Der IWF bestand aber auch auf den Abbau der Zollschranken und der Öffnung des argentinischen Marktes bei einem anhaltend hohem Zinsniveau und Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Dieses Maßnahmebündel zur Strukturanpassung an die internationale Finanzwelt führte das südamerikanische Land schnell in eine schier endlose Abwärtsspirale. Nachdem Argentinien durch die Dollarbindung zum Hochwährungsland geworden war, wurden die Märkte mit billigen Importen aus den Nachbarstaaten überschwemmt. Die einheimischen Produzenten waren nicht mehr wettbewerbsfähig und mussten ihre Betriebe schließen, die Investitionen gingen zurück, die Arbeitslosenrate stieg, die Steuereinnahmen des Staates schrumpften und die Ausgaben für Bildung und Sozialleistungen wurden immer stärker zusammengestrichen. Die Sparquote, die in den lateinamerikanischen Staaten schon in normalen Zeiten deutlich unter der ostasiatischen lag, fiel weiter zurück, Regierung und Wirtschaft wurden immer abhängiger von Geldzuflüssen aus dem Ausland.

Zudem schafften die Wohlhabenden ihre Vermögen, die sie im Verhältnis eins zu eins in Dollar tauschen konnten, ins Ausland. Mittlerweile sollen argentinische Guthaben im Wert von 100 bis 150 Milliarden Dollar auf Konten jenseits der argentinischen Landesgrenzen liegen, das Geld urlaubt in Miami, vermutlich für immer, kommentierte der MIT-Ökonom Rüdiger Dornbusch die Kapitalflucht der argentinischen Geldelite. Das entspricht nach groben Schätzungen ungefähr der Summe, mit der der Staat bei ausländischen Geldgebern verschuldet ist.

Beschleunigt wurde Argentiniens Talfahrt allerdings noch durch die im Land grassierende Korruption und Günstlingswirtschaft. So wurden zwar den IWF-Rezepten folgend die früheren Staatsbetriebe privatisiert, doch zum Zuge kamen entweder enge Freunde der amtierenden Regierungschefs oder aber – wie im Fall der staatlichen Telefongesellschaft EN-Tel – ausländische Wettbewerber, die französische Telecom und die spanische Telefonica. Unter den neuen Eigentümern teilte die argentinische Regierung den Markt so auf, dass jeder wie ein Monopolist seinen Bereich beherrschen kann. Die Genehmigung für Tariferhöhungen lieferte die Regierung gleich mit.

Doch nicht einmal die Privatisierungserlöse sollen in voller Höhe der Staatskasse zu Gute gekommen sein. Was dort abgeliefert wurde, war so wenig, dass die für die Privatisierung verantwortlichen Minister entweder besonders dilettantisch verhandelt hatten, oder aber nur ein Teil des Verkaufserlöses offiziell ausgewiesen wurde, der Rest dürfte – so vermuten argentinische Journalisten – in die Taschen der Regierenden oder ihrer Beamten geflossen sein. Gegen etliche Politiker und Funktionäre ermittelt die Staatsanwaltschaft, in manchen Fällen mit Unterstützung des amerikanischen FBI.

Erhöhter Rückstellungsbedarf
Die seit Jahren offenkundigen Missstände und die Ausbeutung der Bevölkerung durch ihre eigene politische Klasse haben ausländische Banken in der Vergangenheit offenbar nicht davon abgehalten, die rücksichtslose Wirtschaftspolitik des korrupten Staates mit hohen Krediten zu unterstützen. Jetzt müssen sie ihre Engagements abschreiben. Zu den größten Geldgebern des Landes gehören amerikanische Institute wie die Citigroup (bisherige Verluste: rund 2,2 Milliarden Dollar), die Fleet Boston Banking Corporation (1,1 Milliarden Dollar), die als eigenes Tochterinstitut die Bank Boston in Argentinien unterhält, JPMorgan (411 Millionen Dollar) und die Kanadische Bank of Nova Scotia (540 Millionen Dollar). Von den europäischen Banken zählen die spanischen und italienischen Institute zu den größten Verlierern: Die Banco Bilbao Vizeaya Argentaria hat Wertberichtigungen von 947 Millionen Dollar vornehmen müssen, die Banco Santander Central Hispano bereits 1,2 Milliarden Dollar abgeschrieben. Die Credit Suisse Group versenkte in Argentinien 213 Millionen Dollar.

Die deutschen Banken sitzen in Argentinien nach eigenen Angaben zwar nicht in der ersten Reihe. Genaue Ziffern werden auch nicht genannt, aber die Rückstellungen zur Risikovorsorge wurden in diesem Jahr bereits deutlich erhöht – bei der Deutschen Bank sogar verdoppelt. Grund dafür sei neben der Argentinienkrise allerdings auch – wie der Geldkonzern mitteilte – die gestiegene Anzahl von Firmenpleiten in Deutschland.

Einen Ausfall der besonderen Art hat allerdings die HypoVereinsbank zu beklagen. Ihre Tochtergesellschaft im Steuerparadies Cayman Islands ist zahlungsunfähig. Für 400 Anleger in Argentinien, Investoren in den USA sowie einige Banken, hatte die BII Creditanstalt International über ihre Tochter Banco B.I. Creditanstalt in Buenos Aires insgesamt 400 Millionen US-Dollar in argentinische Staatsanleihen und Unternehmenskredite investiert, diese Investments sind jetzt wertlos. Doch mit dem Totalverlust ihres Einsatzes wollen sich die Investoren nicht ohne weiteres abfinden. Sie werfen der Bank vor, sie habe keine ausreichende Risikostreuung vorgenommen, und lassen in Europa derzeit schon mal eine Klage gegen die HypoVereinsbank prüfen.

Die deutsche Muttergesellschaft weist die Vorwürfe zurück: Jeder Anleger wusste genau, welches Risiko mit seinen Hochzinsanleihen verbunden ist, erklärte die Presseabteilung der bayrischen Bank. Über einen Konkursverwalter ließ die HypoVereinsbank aber einen Kapitalabschlag von 40 Prozent und eine Rückzahlung über fünf Jahre anbieten. Damit sei es der BII gelungen, ihre Anleger vor einem Totalschaden zu schützen, was nicht viele argentinische Kreditinstitute von sich behaupten können, ließ die Bank dazu erklären.

Das mag wohl stimmen, denn auch in Deutschland bangen viele Investoren um ihr Kapital, dass sie in Argentinien-Anleihen investiert haben. Rund 72 Prozent der Auslandsschulden des argentinischen Staates sollen als Bonds ausgegeben worden sein. Und diese Geldanlagen wurden vielen Investoren wegen der hohen Zinsen besonders empfohlen. Rund 20 Milliarden Euro seien allein in Deutschland ausgegeben worden, erklärt Stefan Engelsberger, der bereits die Interessengemeinschaft Argentinien (IGA) für frustrierte Anleger gegründet hat.21 Die IGA fordert nun die Argentinische Regierung auf, unverzüglich den Schuldendienst wieder aufzunehmen. Außerdem verlangt sie vom Internationalen Währungsfonds, dass er sicherstellen solle, dass auch die privaten Anleihebesitzer berücksichtigt werden. Hilfen für Argentinien sollte der IWF nur dann gewähren, wenn sich die dortige Regierung zu einer geordneten und transparenten Schuldenumstrukturierung verpflichte. Per Brief bat der IGA-Gründer Engelsberger auch den deutschen IWF-Gouverneur, Bundesbank-Präsident Ernst Welteke, und Bundesfinanzminister Hans Eichel, sich für die Belange der deutschen Argentinien-Anleger beim IWF einzusetzen. Auch ein Rechtsgutachten hat die Interessengemeinschaft der geprellten Anleger bereits in Auftrag gegeben.

Doch längst geht es Banken und IWF nicht nur um das zerrüttete Tango-Land. Es wächst die Angst, dass die gesamte Region, allen voran Brasilien, in den Strudel der Argentinien-Krise hineingezogen werden und untergehen könnte. Mit erheblich schwereren Folgen für die internationale Finanzwelt. Auch deshalb wächst der Druck auf den Währungsfonds, die Argentinier wieder on track – wie es im Jargon des Fonds heißt – zu bekommen. Noch im Juli 2002 konnte IWF-Chef Horst Köhler, der vor seinem Wechsel nach Washington Präsident des deutschen Sparkassenverbands und davor als Staatssekretär im Finanzministerium einer der wichtigsten Berater des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl war, nur berichten, dass die jüngsten Gespräche mit der argentinischen Regierung ermutigend verlaufen seien. Die vier wesentlichen Bedingungen des Fonds seien aber noch nicht erfüllt. Noch immer gebe es keine Lösung, wie die weitgehend autonomen Provinzregierungen in die Konsolidierung des Staatshaushalts eingebunden werden sollen und Fortschritte bei rechtlichen Problemen, beispielsweise beim Insolvenzrecht, seien auch nicht erzielt worden. Außerdem sei die Handlungsfähigkeit der Banken noch nicht wieder hergestellt und die Unabhängigkeit der argentinischen Zentralbank nicht gesichert. Um weiteren Druck zu machen bat der deutsche IWF-Chef Horst Köhler seinen ehemaligen Ziehvater, den Ex-Bundesbank-Präsidenten Hans Tietmeyer,in Buenos Aires nach dem Rechten zu sehen. Begleitet wurde Tietmeyer, der sich in seiner Amtszeit als oberster deutscher Währungshüter einen Namen als Tehtmeyer, als strikter Stabilitätspolitiker, gemacht hatte, von dem Chef der Internationalen Ausgleichsbank Andrew Crockett und den ehemaligen Notenbankpräsidenten Kanadas und Spaniens, John Crow und Angel Rojo.

Selbst wenn es dem in der Finanzwelt angesehenen Seniorenquartett gelingen sollte die argentinische Regierung auf IWF-Kurs zu bringen, eine Besserung der Lage für die darbende Bevölkerung ist nicht in Sicht. Auch dem neuen Beratergremium wird es in erster Linie um die Sicherung der Interessen der internationalen Banken und Finanzinstitute gehen. Die Nöte der Bevölkerung haben auf der Agenda des Fonds schon lange keinen Platz mehr. Da können die Argentinier pfeifen und trommeln so viel sie wollen.

Der Skandal mit der HypoVereinsbank richtig verstehen – detailliertere Information

Der forsche Vorstoß der Deutschen Bank
Im letzten Jahr seiner Amtszeit als Vorstandssprecher, 1997, machte Hilmar Köpper einen entscheidenden Zug, der das gesamte deutsche Banken- und Versicherungswesen für die nächsten Jahre beschäftigte: Die Deutsche Bank hatte sich heimlich, still und leise einen Anteil von 5,2 Prozent an der Bayerischen Vereinsbank zusammengekauft. Als er diesen Coup dem Chef der bayerischen Regionalbank offenbarte, reagierte Albrecht Schmidt nicht gerade erfreut: Wir wollen eine eigenständige, große deutsche Bank mit Sitz in München bleiben, sagte er dem Chef des größten deutschen Kreditinstituts. Doch auch andere fanden den Vorstoß des Bankmanagers nicht erbaulich: Allianz-Konzernherr Henning Schulte-Noelle gefiel der Einbruch der Frankfurter in sein Territorium überhaupt nicht.

Mit diesem Kauf hatte die Bank eine seit Jahrzehnten etablierte Grenze überschritten, die die Bereiche Versicherungswirtschaft auf der einen und Bankwesen auf der anderen trennt. Die größte deutsche Bank und der größte deutsche Versicherer hatten ihre eigenen Einflusssphären mit gegenseitigen Beteiligungen. Die Repräsentanten beider Konglomerate trafen sich in Aufsichtsräten der großen Konzerne, aber ihre Geschäfte liefen weitgehend getrennt – der eine kümmerte sich um die Konten, Sparbücher, Kredite und Wertpapiere, der andere um die Absicherung von Personen und Unternehmen gegen alle Widrigkeiten des Lebens. Mit dieser Arbeitsteilung kamen sich die beiden Konzerne jahrzehntelang nicht ins Gehege. Die friedliche Koexistenz der beiden Branchenriesen wurde durch den Vorstoß von Köpper gefährdet, denn die Bayerische Vereinsbank gehörte eindeutig zum Satellitensystem des Allianz- Konzerns. Sie war zudem einer seiner Aktionäre. Mit dem Kauf des Bayerische-Vereinsbank-Aktienpakets hatte sich die Deutsche Bank weit vorgewagt.

Die Allianz schlägt zurück
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, Vereinsbank-Chef Schmidt und der Vorstandsvorsitzende der ebenfalls in München ansässigen Bayerischen Hypothekenbank, Eberhard Martini, begannen über eine Fusion zu verhandeln – mit Billigung und sogar auf Initiative von Allianz-Chef Henning Schulte-Noelle. Der Versicherungskonzern hielt rund 20 Prozent an der Hypobank. Wie Der Spiegel berichtete, suchte der Allianz-Chef seit längerem nach einem starken Partner für das Institut, weil dessen Rentabilität zu jener Zeit durch riskante Kreditengagements sowie durch spekulative Immobiliengeschäfte gefährdet war. Hypobank-Chef Martini trotzte zwar lange dem Begehren seines Großaktionärs, doch im Sommer 1997 musste er der Offerte der Vereinsbank zustimmen.

Die Architektur der bayerischen Bankenhochzeit war schnell skizziert, die beiden Bankchefs der traditionell eher verfeindeten Regionalinstitute einigten sich auf einen Merger of equals. Allerdings gab es von Anfang an keinen Zweifel daran, dass die Hypobank von der Vereinsbank geschluckt werden würde. Den Hypobank-Aktionären wurde ein 6:1-Clou angeboten, für sechs Hypobank-Anteilsscheine gab es eine Allianz-Aktie aus dem Bestand der Vereinsbank. Die bayerische Landesregierung unterstützte die Fusion, die im schlimmsten Fall auch den Abbau von Arbeitsplätzen, die Schließung von Filialen nach sich ziehen und die Konzentration auf weniger Bankinstitute beschleunigen würde, mit einem großzügigen Steuerverzicht. Eigentlich hätte der Wertzuwachs der Allianzaktien bei ihrer Veräußerung versteuert werden müssen. Doch die Landesregierung gewährte für den Aktientausch Steuerbefreiung und verzichtete dadurch auf Steuereinnahmen von fünf Milliarden €.

Insgesamt übernahm die Vereinsbank 45 Prozent der Hypobank. Deren ehemaliger Chef und früherer Präsident des Bundesverbands deutscher Banken, Eberhard Martini, erhielt ein Aufsichtsratsmandat, sogar ein Teil des Namens wurde übernommen: Das neue Unternehmen hieß Bayerische HypoVereinsbank, geführt wurde es vom Chef der alten Vereinsbank Albrecht Schmidt.

Am 1. September 1998 wurden die beiden Institute offiziell zur zweitgrößten deutschen Privatbank verschmolzen. Der Allianz gehörten an dem neuen Koloss des deutschen Finanzmarktes 17,4 Prozent, der Münchner Rück 6,4 Prozent, der Viag 8,1 Prozent und dem Freistaat Bayern 6,7 Prozent. Die restlichen Anteile befanden sich in Streubesitz. Die Deutsche Bank hatte ihre Beteiligung an der alten Bayerischen Vereinsbank wieder zurückgegeben.

Skandal bei der Hypobank
Doch damit war der Fusionspoker noch lange nicht beendet. Wenige Wochen nach dem glanzvollen Start entdeckte der Chef der neuen Bank, Albrecht Schmidt, dass Eberhard Martini, sein Fusionspartner von der Hypobank, erhebliche Kreditrisiken bei Immobiliengeschäften in Höhe von 3,5 Milliarden € nicht angegeben hatte. Diese Wertberichtigungen hätten im Jahresabschluss für 1997 berücksichtigt werden müssen. Schmidt war persönlich tief erschüttert und machte aus seiner Verärgerung keinen Hehl: Ich habe eine bittere Enttäuschung erlitten und eine gehörige Wut im Bauch, erklärte der Bankchef. Er war vor allem bemüht, den Verdacht, er habe von der Schieflage im Immobiliengeschäft schon während der Fusionsverhandlungen erfahren, gar nicht aufkommen zu lassen. Ein Versagen dieses Ausmaßes habe er sich nicht vorstellen können, tobte Bankchef Schmidt und forderte vehement personelle Konsequenzen.

Allerdings waren die Risiken, die im aus dem Ruder gelaufenen Immobiliengeschäft der Hypobank lauerten, offenbar auch der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Wedit nicht aufgefallen. Der Vorstand habe die entsprechenden Unterlagen nicht herausgegeben, versuchten sich die Prüfer später der Verantwortung zu entziehen.

Am 30. Oktober verkündete Martini forsch: Der 1997er Abschluss war in Ordnung. Einen Rücktritt von seinem Aufsichtsratsmandat lehnte er ab. Im November wurde der verbale Schlagabtausch zwischen den beiden Topbankern heftiger, die Angriffe peinlicher. Einen Höhepunkt der Niveaulosigkeit erreichte Martini mit seiner Kritik am neuen Großbankchef: Schmidts Charakter ist vom Ehrgeiz zerfressen, so ein Mann kann keine Bank führen.

Die weitere Eskalation wäre vielleicht noch vermeidbar gewesen, wenn der Aufsichtsrat konsequente Aufklärungsarbeit geleistet hätte, schrieb das Manager Magazin im Mai 1999. Doch dazu konnte sich das Kontrollgremium nicht durchringen, obwohl – wie das Hamburger Wirtschaftsmagazin berichtete – einer der Räte, DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp, dringend empfahl die Angelegenheit transparent aufzuarbeiten. Schließlich wisse er aus eigener Erfahrung, was es bedeute, mit unangenehmen Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu gehen .Doch den Mitgliedern des Aufsichtsgremiums ging es offenbar weniger um das Image der Bank als vielmehr um das Ansehen der Banker, genauer der Hyponose, wie die Mitarbeiter der ehemaligen Hypobank von den Vereinsbankern intern genannt wurden. Aufsichtsratschef Klaus Götte suchte einen Kompromiss, der den Hypobankern half das Gesicht zu wahren und dem die verärgerten Vereinsbanker im Vorstand gerade noch zustimmen konnten.

So einigten sich die Räte schließlich darauf, die 3,5-Milliarden- €-Schieflage als außerordentliche Wertberichtigung des Jahres 1998 auszuweisen, die sich durch einen Methodenwechsel bei der Risikobewertung ergeben habe, zitierte das Manager Magazin. Danach sprach der Aufsichtsrat, wie es im gehobenen Wirtschaftskreisen üblich ist, dem gesamten Vorstand sein Vertrauen aus. Im Januar 1999 versuchte Ex-Hypobanker Martini seinen Widersacher Schmidt auszuhebeln. Als über die Verlängerung von Schmidts Vertrag beraten werden sollte, war Martini dagegen und versuchte auch seine Ratskollegen davon zu überzeugen, dass Schmidt nicht der richtige Mann für die neue Bank sei. Mit dieser Meinung stand Martini allerdings allein – Schmidts Vertrag wurde mit überwältigender Mehrheit von 19:1 Stimmen verlängert.

Bei der Hypobank rollen die Köpfe
Im Februar 1999 stellte die HypoVereinsbank die Ergebnisse des Fusionsjahres 1998 vor. Bankchef Schmidt kündigte einen radikalen Sparkurs an, vor allem die Immobiliensparte und das Kreditgeschäft wurden drastisch zurückgenommen. Der Kampf der beiden Topbanker Schmidt und Martini zog sich hin. Im März beschloss der Aufsichtsrat eine Sonderprüfung des Immobilienbereichs zu veranlassen.

Der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Götte trat schließlich am 20. März 1999 zurück. Als seinen Nachfolger holte der Großaktionär Allianz im April 1999 den Ex-Vizepräsidenten der US- Investmentbank JPMorgan, Klaus F. Viermetz, ins Boot. Viermetz, einer der wenigen Deutschen, die an der Wallstreet Karriere gemacht haben, kannte Schmidt und die Bank. Er hatte den HypoVereinsbank-Chef 1997 bei der Abwehrstrategie gegen die Deutsche Bank und bei der Übernahme der Hypobank beraten.

Der neue Aufsichtsratsvorsitzende hatte viel zu tun. Die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre forderte eine Ausgleichszahlung für die früheren Vereinsbank-Anteilseigner. Der Wert der Hypobank sei schließlich geringer gewesen, als bei der Berechnung des Aktientauschverhältnisses angenommen worden war. Auf der Hauptversammlung am 6. Mai machten die privaten Anteilseigner der HypoVereinsbank ihrem Ärger Luft. Seit dem Immobilienskandal im Herbst 1998 hatten ihre Aktien ein Drittel ihres Werts verloren. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der Bank waren 17 Milliarden € vernichtet worden. Zehn Stunden wurde debattiert. Nur dank der geschickten Moderation von Aufsichtsratschef Viermetz konnte der Eklat verhindert und ein Kompromiss erzielt werden: Über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat sollte erst entschieden werden, wenn das Ergebnis der Sonderprüfung vorlag, für die die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO engagiert wurde.

Als BDO drei Tage vor der Aufsichtsratssitzung, die am 26. Oktober 1999 stattfand, das Gutachten präsentierte, bestätigte sich der Verdacht. Die Risiken aus den Immobiliengeschäften waren noch höher ausgefallen als ursprünglich angenommen: Der Fehlbetrag lag nach Bewertung durch die Prüfer bei insgesamt 3,5 Milliarden €. Bankchef Schmidt sah sich rehabilitiert und begann eine schonungslose Abrechnung mit den Hypobankern im neuen Bankvorstand. Ex-Hypobank-Chef Eberhard Martini musste in der Folge sein Aufsichtsratsmandat zurückgeben. Sein früherer Finanzchef Werner Münstermann, der für die Bilanz verantwortlich war, wurde ebenfalls seines Amtes, der Leitung der Hamburger HypoVereinsbank-Tochter Vereins- und Westbank, enthoben. Vier weitere ehemalige Hypobank-Vorstände, Peter Hoch, Martin Kölsch, Martin Schütte und Josef Wertschulte, die an den riskanten Immobiliengeschäften nicht direkt beteiligt waren, baten ebenfalls um ihre Entlassung.

Vor denen muss man den Hut ziehen, denn die haben sich, ohne dass ein eigenes Verschulden vorlag, der Gesamtverantwortung des Vorstands gestellt, bewerteten ehemalige Hypobank- Mitarbeiter den Abgang des Quartetts. In Kreisen der Aktionäre wurde der spektakuläre Abgang für unabwendbar gehalten: Reinen Tisch zu machen war die einzige Möglichkeit, um die Bank in die Lage zu versetzen, in Zukunft unbelastet nach vorne blicken zu können.

Vor allem den Großaktionären Allianz, Viag und dem Freistaat Bayern lag daran, die Altlasten aus dem Immobiliendebakel loszuwerden. Gelungen ist ihnen das aber nicht, denn seit dem BGH- Urteil vom Frühjahr 2002 können die damals von der Hypobank geprellten Anleger Schadensersatz fordern – sie müssen sich an der neuen HypoVereinsbank schadlos halten. Erhebliche Nachwirkungen hatte der Skandal auch auf die Mitarbeiter der Bank. Durch den Machtkampf an der Spitze wurde die Belegschaft gespalten. Bis heute ist noch nicht zusammengewachsen, was seit 1998 eigentlich zusammengehören sollte. Die Wunden, die der Clinch in der Führung der Bank aufgerissen hat, sind bis heute nicht verheilt. Noch immer wird fein unterschieden, wer Hyponese war und wer von der Vereinsbank kam.

Die Moral stirbt zuerst wo die Gier herrscht

Frustrierte deutsche Aktionäre, die lange neidisch nach Amerika geblickt hatten, erspähten dort im Frühjahr 2002 eine Räuberhöhle unvorstellbaren Ausmaßes. In großem Stil hatten scheinbar renommierte Konzerne ihre Bilanzen gefälscht, Milliardengewinne ausgewiesen, die es gar nicht gab, und zudem mit einem Höchstmaß an krimineller Energie die Kurse ihrer Aktien manipuliert. Banken und Wirtschaftsprüfer hatten diese kriminellen Vereinigungen in den Konzernzentralen von Enron, WorldCom und anderen einst soliden US-Adressen kräftig unterstützt.

Spätestens seit November 2001, seit der US-Energie-Riese Enron offenbaren musste, wie er im Verein mit den Wirtschaftsprüfern der einst angesehenen Sozietät Arthur Andersen die Bilanzen fälschte, mit Hilfe von angesehenen US Banken wie Citicorp und JPMorgan Kreditbetrug in Milliardenhöhe beging und erfundene Profite meldete, ist es mit der ehrfürchtigen Bewunderung der amerikanischen Börsenkultur vorbei.

Als sich dann im Laufe des Jahres 2002 herausstellte, dass die Enron-Manager keineswegs die einzigen waren, die ihre Gewinne betrügerisch aufgeblasen und damit im großen Stil ihre Anleger betrogen hatten, war das Vertrauen der Investoren nachhaltig zerstört worden. Zu den Übeltätern gehörten so namhafte Unternehmen wie der Bürogerätehersteller Xerox, der Elektrokonzern Tyco, der Pharmakonzern Merck ft Co. und sogar der Telekommunikationsgigant WorldCom mit dem Moralapostel und Firmengründer Bernhard Ebbers an der Spitze, der penibel alles kontrollierte – sogar die Spesenabrechnungen seiner Manager. Als WorldCom im Juli 2002 das Insolvenzverfahren beantragte, brach an den Kapitalmärkten weltweit Panik aus.

Der Verlust an Glaubwürdigkeit lässt sich an Rekordverlusten ablesen. Der Dow Jones – kaum dass er sich von der Baisse des Jahres 2001 und dem Crash nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erholt hatte, sank auf das Niveau des Jahres 1997, die US-Wachstumsbörse Nasdaq schnurrte innerhalb eines Jahres auf weniger als die Hälfte ihres Wertes zusammen. Noch schlimmer erwischte es die deutschen Märkte, der DAX fiel innerhalb eines Jahres von rund 5.500 Punkten auf unter 3.500 Punkte und der Nemax von 1.300 Anfang Juli 2001 auf Allzeittiefstand von weniger als 450 Punkten. Innerhalb weniger Tage wurden 130 Milliarden Euro allein an den Börsen vernichtet – eine Summe, die dem Bruttosozialprodukt des Landes Norwegen entspricht.

Bei der Suche nach den Ursachen der Betrugsskandale kommen erstaunliche Erkenntnisse ans Licht: Die von vielen so geschätzte US-Wertpapieraufsicht Securities and Exchange Commission zehrt seit langem nur noch vom Ruhm vergangener Tage, dem turbulenten Börsengeschehen ist sie längst nicht mehr gewachsen. Allein die Menge an Quartalsberichten und Papieren, die die gelisteten Unternehmen und Börsendebütanten einreichen müssen, hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Die schockierten Anleger fragen sich jetzt, ob diese je geprüft worden sind. Sonst hätten beispielsweise die sonderbaren Umsatzsprünge beim Pharmakonzern Merck auffallen müssen, kritisiert die US- Wirtschaftszeitung The Wall Street Journal.

Zur Überforderung der SEC-Beamten trug auch bei, dass sich in der vergangenen Dekade das Handelsvolumen vervielfacht hat und ständig neue Finanzierungsinstrumente und Anlagemodelle entwickelt wurden, die an den Börsen angeboten werden und von der SEC überwacht werden müssten. Dafür fehlt der Behörde allerdings das Personal. Wegen der mageren Gehälter wechseln die besten Mitarbeiter schnell auf die andere Seite, zu den Brokerhäusern und Investmentbanken.
Doch eine Aufstockung der Belegschaft und eine Erhöhung der Einkommen war nicht drin, erst kürzlich hat US-Präsident George W. Bush eine Budgeterhöhung für die überlastete Behörde abgelehnt.

Erst nachdem sich der Börsenskandal zu einer massiven Krise der US-Wirtschaft und der Weltkapitalmärkte auszuweiten drohte, hat Bush die Strafen für Anlagebetrug und Bilanzfälschung verschärfen lassen. Seit 14. August 2002 müssen die Chefs von Amerikas Konzernen jeden Geschäftsbericht selbst abzeichnen und für die Richtigkeit selbst und mit ihrem meist nicht unbeträchtlichen Vermögen haften. Unrichtige Angaben werden nun mit hohen Haftstrafen geahndet. Die Chancen, dass die Missetäter entlarvt werden, sind damit zwar nicht gestiegen, denn von einer Aufrüstung der Aufsichtsbehörde war nicht die Rede, doch die Regierung hat, wie es scheint, endlich einmal durchgegriffen.

Den deutschen Aufsichtsbeamten und Kontrolleuren kommt die Entzauberung der US-Börsenwächter nicht ungelegen. Die oft unterstellte Überlegenheit des US-Systems in Unternehmensführung, Bilanzierung und Aufsicht sei, so ThyssenKrupp-Aufsichts- ratschef Gerhard Cromme, durch die jüngsten Vorgänge in den USA widerlegt. Unter Crommes Vorsitz hatte eine im September 2001 von Bundeskanzler Gerhard Schröder beauftragte Regierungskommission einen neuen Kodex für die Führung von börsennotierten Unternehmen, den Deutschen Corporate Governance-Kodex, erarbeitet. Der Kodex ist ein vernünftiger Weg und es wird die Aufgabe sein, ihn so zu entwickeln, dass solche Fehler nicht passieren. Doch als dieser Verhaltenskodex im Februar 2002 präsentiert wurde, musste Cromme Kritik von allen Seiten einstecken. Den Unternehmen gingen die Vorschläge zu weit, den Anlegerschützern nicht weit genug.

Tatsächlich hat die Kommission Schritte in die richtige Richtung gemacht, sich aber nicht allzu weit vorgewagt. Der wichtigste Punkt des neuen Verhaltenskatalogs für die Führungskräfte ist: Nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder eines Unternehmens sollen in dessen Aufsichtsrat gewählt werden. Doch an der von deutschen Konzernherren besonders geschätzten Regelung, nach dem Vorstandsvorsitz auch die Leitung des Aufsichtsrats zu übernehmen, um weiter ins Unternehmen hinein regieren zu können, wurde nicht gerüttelt.

Das ist auch kein Wunder, denn zwei der Kommissionsmitglieder haben genau diesen Wechsel erst kürzlich vollzogen. Der Kommissionsvorsitzende Cromme war bis November 2001 Chef von Thyssen-Krupp und leitet jetzt den Aufsichtsrat des Konzerns, Ex-Deutsche-Bank-Chef Rolf-E. Breuer hat im Mai 2002 die Führung des Kontrollgremiums in dem Geldkonzern übernommen. Der Kodex will jedoch die Zahl der von einer Person eingenommenen Kontrollposten beschränken. Vorstandsmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften sollen nicht mehr als fünf Aufsichtsratsmandate gleichzeitig halten – nach dem Aktienrecht gelten noch zehn Ratsposten in konzernunabhängigen Unternehmen als Obergrenze. Die Gehälter von Vorstandsmitgliedern und die Bezüge der Aufsichtsräte sind laut Kodex künftig einzeln aufzuführen. Zur Verbesserung der Diskussionskultur sollen zudem mehr Ausschüsse gebildet werden.

Die Umsetzung der insgesamt rund 50 Empfehlungen des so genannten Complyorexplain-Regelwerks soll den Unternehmen nicht zwingend vorgeschrieben werden, aber wer die hier aufgeführten Vorschläge nicht befolgt, müsste künftig erklären, warum er es nicht tut. Kommissionsvorsitzender Cromme erwartet, dass der Druck der internationalen Finanzmärkte und auch der Öffentlichkeit so stark wird, dass kaum ein Konzern es sich leisten kann, diese simple Forderung nach mehr Transparenz bei der Bezahlung der Spitzenmanager auf Dauer zu ignorieren.

Wer die Entwicklung der vergangenen Jahre Revue passieren lässt, dürfte sich über das Vertrauen des Topmanagers in die Rationalität der Märkte und deren heilsamen Einfluss auf die künftige Unternehmensentwicklung eher wundem. Dass die Märkte mehr hinrichten als richten, haben die vorangegangenen Artikel deutlich gezeigt. Das gilt sowohl für Unternehmen als auch für ganze Volkswirtschaften. Das Feuer, das enttäuschte Kleinanleger, institutionelle Investoren und die Bundesregierung als Großaktionär bei der Deutschen Telekom entfacht haben, kann sich zu einem Flächenbrand entwickeln, in dem mehr als die Karriere eines Herrn Sommer zerstört wird. Es geht auch nicht nur um die Ersparnisse von zigtausenden kleiner Anteilseigner. Das Debakel um die Aktien eines Unternehmens, auch wenn es sich dabei um einen der größten Konzerne Deutschlands und die Volksaktie der Deutschen handelt, kann mit dazu beitragen, die politische Landschaft zu verändern und einen Regierungswechsel zu beschleunigen. Das mag man bedauern oder nicht. Den Märkten und den Finanzjongleuren ist es gleichgültig, wer die Politik in einem Land bestimmt. Wenn ihnen die Richtung nicht passt, zieht die Karawane eben in ein anderes Land.

Erschreckend ist vielmehr, dass sich die Politik immer mehr den Märkten und den mächtigen Finanzinstitutionen unterordnen muss und dass dies nicht in einer korrupten Bananenrepublik geschieht, sondern in zivilisierten Ländern wie zum Beispiel Deutschland und der Schweiz. Und wenn die Märkte schon solche Wirkung in gefestigten Demokratien entfalten können, dann müssten Strukturen geschaffen werden, die ihren Einfluss begrenzen, nicht erweitern.

Die Märkte sind amoralisch – das sagt nicht ein weltfremder Moralist, sondern einer der Scharfschützen der internationalen Hochfinanz, George Soros. In einem Interview mit dem Magazin Der Spiegel im Jahr 1998 plädierte der einstige Freibeuter der Finanzmärkte für strenge Aufsicht und Kontrollen: Märkte und Privateigentum sind unentbehrlich für eine offene Gesellschaft. Aber so wie es jetzt funktioniert, ist das System nicht in Ordnung. Finanzmärkte brauchen Aufsicht und Kontrollen. Es gibt soziale und kollektive Bedürfnisse, die nicht auf den Märkten ihren Ausdruck finden. Und wir haben in der repräsentativen Demokratie einen Mechanismus, der dem Allgemeinwohl dient. Den gibt es in der globalen Wirtschaft nicht.

Längst kommen die Warnungen vor der Allmacht der Banken und Finanzinstitute nicht mehr aus der Kuschelecke unverbesserlicher Sozialromantiker, sondern von renommierten Wirtschaftswissenschaftlern, Nobelpreisträgern und Politologen. Wie die breite bürgerliche Bewegung der Attac suchen auch sie nach Wegen, wie die destruktive Kraft der globalen Geldindustrie, die nicht nur ganze Volkswirtschaften in Asien und Lateinamerika verwüstet hat, sondern durch ihre häufigen Fehlurteile und Manipulationen auch Kahlschläge in den Arbeitsmärkten der Industriestaaten hinterlässt, gebremst werden kann. In Deutschland hat der frühere SPD-Vorsitzende und kurzzeitige Finanzminister Oskar Lafontaine vor den fatalen Folgen der Globalisierung gewarnt und schärfere Kontrollen der Kapitalmärkte gefordert. Im Juni 2002 legte eine Enquete-Kommission des deutsche!! Bundestags, die unter dem Vorsitz von Emst Ulrich von Weizsäcker seit 1999 die Chancen und Risiken der Globalisierung beraten hat, einen 600 Seiten umfassenden Bericht vor. Sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Verständnis für die Anliegen der Globalisierungskritiker geäußert.

Topbanker wie der frühere Deutsche-Bank-Vorstand Thomas Fischer melden mittlerweile Zweifel an der bisherigen Globalisierungsstrategie der internationalen Konzerne und Finanzinstitute an: Eigentlich hält doch kaum noch jemand den Globalisierungsprozess für gut, sagte Fischer, der 2001 seinen Job in der Deutschen Bank aufgegeben hat, in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Wir müssen endlich darüber reden, was überhaupt globalisiert werden soll. Globalisierung muss viel mehr sein als die Gründung von Filialen internationaler Konzerne. Wir dürfen auch nicht nur den Waren- und Kapitalverkehr globalisieren, sondern müssen auch den Rechtsstaat, die Demokratie, überprüfbare Institutionen verbreiten.

Es ist an der Zeit, dass auch die Regierenden in aller Welt ernsthaft darüber nachdenken, wie dem Streben der internationalen Banken und Finanzinstitute nach globaler Größe und unbeschränkter Macht Grenzen gesetzt werden können. Dem unkontrollierbaren Einfluss der unüberschaubaren Finanzimperien auf Gesellschaft, Politik und Wirtschaft muss Einhalt geboten werden.

Wie Investmentbanker zum Absturz der T-Aktie geholfen haben – der Fall Deutsche Telekom

Ich wär so gerne Aktionär, sang 1996 Manfred Krug in der millionenschweren Werbekampagne, die die Deutsche Telekom für ihr Börsendebut geschaltet hatte. Die Deutschen, ein Volk von Sparbuchinhabern, sollten sich an der Privatisierung des Staatskonzerns beteiligen und zum Volk von Aktionären werden – mit Hilfe der Volksaktie Telekom. Begleitet wurde der spektakuläre globale Börsengang – die Aktien des größten deutschen Telekommunikationsunternehmens wurden gleichzeitig an den Börsen in New York und Tokio eingeführt – von den ersten Adressen des internationalen Kapitalmarktes. Die deutschen Großbanken waren dabei und auch die internationalen amerikanischen Investmenthäuser.

Der Run auf die Volksaktie
Zum ersten Mal in der deutschen Börsengeschichte wurde eine Aktienplatzierung nach dem so genannten Bookbuilding-Verfahren durchgeführt. Dabei müssen große internationale Investmentgesellschaften wie die Pensionsfonds, die über Milliarden von Anlegerkapital verfügen, Gebote abgeben, zu welchem Preis sie T-Aktien in ihre Portfolios nehmen würden. Die Präsentationstour – im Börsenjargon Roadshow genannt – wurde von einem wahren Medienrummel begleitet, in Deutschland wurde das TV- Publikum allabendlich mit dem Werbespot berieselt – der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Als der Ausgabekurs von 14 Euro bekannt gegeben wurde, war die Volksaktie vielfach überzeichnet, der größte Teil ging an die institutionellen Anleger
wie Banken und Versicherungen. Dennoch kamen auch viele private Käufer zum Zuge und erhielten ihr magentafarbenes Wertpapier.

Heute wünscht sich so mancher Volksaktionär, er wäre bei der Aktienzuteilung nicht zum Zuge gekommen. Nach den anfänglichen Höhenflügen der T-Aktie und einer weiteren Aktienplatzierung im Boomjahr 2000 begann knapp zwölf Monate später der freie Fall: Bei der Hauptversammlung im Mai 2002 stand sie nur noch bei 11,46 Euro, weit unter dem Emissionskurs der ersten Tranche. Und im Juli 2002 wurde sogar die Zehn-Euro-Grenze unterschritten. Der Streit um die Bewertung von Immobilien, die hohen Schulden durch die Ersteigerung der UMTS-Lizenzen, die künftige Handy-Generationen internetfähig machen sollen sowie teure Unternehmensübernahmen haben kräftig am Wert des einstigen Börsenüberfliegers gezehrt.

Auf Schleuderkurs:
der verpatzte Blocktrade der Deutschen Bank
Aber auch die Banken, die die T -Aktien an die Börse gebracht und am Handel mit den Papieren kräftig verdient haben, leisteten sich Pannen, die dem Kurs der Aktie erheblich schadeten. Die größte Blamage dieser Art unterlief im Spätsommer 2001 der Deutschen Bank. Am 6. August war die Welt der T-Aktionäre noch halbwegs in Ordnung. Nach den heftigen Kursverlusten der vergangenen zwölf Monate schien das Papier wieder den Boden für einen neuen Aufstieg gefunden zu haben. Selbst die Analysten der Deutschen Bank gaben eine nachdrückliche Kaufempfehlung ab. Mit Erfolg: Der Kurs legte an diesem Tag um 1,93 Prozent auf 24,26 Euro zu.

Einen Tag später, am Dienstag den 7. August, war wieder Heulen und Zähneklappern angesagt. Die T-Aktie war um 3,47 Prozent auf 23,37 Euro abgesackt und führte die Liste der Verlierer im Deutschen Aktienindex DAX an. Die Papiere werden von institutioneller Seite aggressiv um jeden Preis verkauft, versuchte ein Händler einer Frankfurter Großbank den abrupten Kursverlust zu erklären. Und die Talfahrt ging weiter: Am darauf folgenden Freitag hatte die Volksaktie fast 20 Prozent ihres Werts vom Montag verloren. Als Schlusskurs der schwarzen Börsenwoche für die Papiere des magentafarbenen Riesen wurden noch 19,37 Euro notiert, nachdem die T-Aktie zeitweise sogar auf 18,75 Euro abgestürzt war, den tiefsten Stand seit drei Jahren.

Die Aktionäre waren verärgert: Ron Sommer raubt mir meine Rente, schimpfte ein frustrierter Kleinaktionär auf den Telekom- Chef. Da war er dieses Mal aber an der falschen Adresse. Nach den Kursabstürzen der vergangenen zwölf Monate erhielten die Kleinanleger eine weitere bittere Lektion – jedoch nicht von der Konzernleitung der gebeutelten Telekom, sondern von der Deutschen Bank. Sie zeigte den Volksaktionären wieder einmal deutlich, wie sie im weltweiten Milliardenmonopoly von den großen Spielern abgezockt werden. Der Hintergrund: Nur einen Tag nach der von ihrem Haus herausgegebenen Kaufempfehlung hatten die Investmentbanker versucht, im Auftrag des Telekommunikationskonzerns Hutchinson Whampoa 44 Millionen T-Aktien im Markt unterzubringen – zu einem vereinbarten Kurs von 23,60 Euro.

So genannte Blocktrades, Verkäufe großer Aktienpakete, sind keine Seltenheit an den internationalen Kapitalmärkten. Im Jahr 2000 wurden solche Wertpapierdeals im Wert von knapp 40 Milliarden Dollar abgewickelt. Von Januar bis Anfang August 2001 wurden sogar Pakete für knapp 32 Milliarden Dollar verschoben, hat die britische Beratung Thomson Financial Securities Data, die derartige Wertpapierverkäufe erfasst, ermittelt. Allein vom britischen Telekommunikationskonzern Vodafone wechselten 2001 Aktien im Wert von 6,4 Milliarden Dollar in mehreren Tranchen die Besitzer. Im März wurden 420 Millionen Papiere des Konzerns, der im Jahr 2000 Mannesmann übernommen hatte, veräußert, im Mai noch einmal 182,5 Millionen und im Juni weitere rund 6,65 Millionen.

Gemessen an diesen Volumina nehmen sich die Telekom- Transaktionen mit einem Wert von knapp zwei Milliarden € fast bescheiden aus. Dass dieser Deal dennoch ein Kursdebakel der Sonderklasse verursachte, liegt an den groben Pannen, die den Investment Bankern der Deutschen Bank bei dem hochsensiblen Geschäft offenbar unterliefen.

Blocktrades müssen schnell, vertraulich und marktschonend abgewickelt werden, erklärt Ulrich Ramm, Chefökonom der Commerzbank, die erst Mitte Mai 2001 zusammen mit der US-Investmentbank Merrill Lynch im Auftrag des Energiekonzerns RWE sechs Millionen Aktien von Heidelberger Druckmaschinen im Wert von rund 360 Millionen Euro platziert hat.
In den meisten Fällen gelingt es erfahrenen Aktienhändlern und Investment Bankern selbst Millionen von Wertpapieren innerhalb weniger Stunden per Telefon, Fax oder E-Mail an institutionelle Anbieter zu veräußern. Die Papiere werden zu festen Preisen angeboten oder aber zu Kursen, die in einem beschleunigten Bookbuilding-Verfahren ermittelt werden. Dabei können die Investoren erklären, zu welchem Preis sie eine bestimmte Menge Aktien übernehmen wollen. Danach werden die Aufträge abgewickelt, und die Banker können sich über eine stattliche Provision freuen.

Die Deutsche Bank, die gerne mit dem Slogan Vertrauen ist der Anfang von allem wirbt, hat an dem T-Aktien-Paket rund 150 Millionen € verdient. Viel Geld für ein schnelles Geschäft. Von einem Blocktrade kann in vielen Fällen aber auch der Käufer profitieren. Nicht selten führen solche Transaktionen dazu, dass der Kurs des heimlich in großen Stückzahlen gehandelten Papiers in den darauf folgenden Tagen auch im öffentlichen Handel steigt. So kletterte der Kurs der Sonera-Aktie zwei Tage nach einer derartigen Pakettransaktion von 15,6 Millionen Stück, die einen Erlös von 754 Millionen Euro brachte, von 51,10 Euro am 18. April 2000 auf 56,51 Euro am 20. April und lag damit sogar über dem Wert vom Vortag des Deals. Der französische Pharma und Kosmetikkonzern Sanofi-Synthelabo konnte ebenfalls kurz nach der Platzierung von 15,69 Millionen Papieren einen Kursgewinn von 3,25 Euro pro Aktie verbuchen. Selbst bei dem größten Deal der jüngsten Wirtschaftsgeschichte, dem Verkauf von 564 Millionen Aktien der Firma Vodafone Air Touch PLC, der am 22. März 2000 mehr als drei Milliarden Dollar einbrachte, stieg der Kurs der Vodafone-Aktie am 23. März zunächst um 2,50 Pfund.

Abstürze wie im Fall Telekom sind gerade beim Verkauf von Blue-Chip-Aktienpaketen außerordentlich selten. Und dennoch gelang der Deutschen Bank genau dies mit ihrem Alleingang. Die Käufer des Pakets hatten sich zwar auf einen Kurs von 23,60 Euro geeinigt. Weil die Researchabteilung der Deutschen Bank am Vortag jedoch noch eine Studie veröffentlicht hatte, in der die Telekom-Aktien zum Kauf empfohlen wurden, fand der Paketverkauf plötzlich nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf offener Bühne statt. Fondsmanager und Privatanleger fühlten sich genarrt, weil die Deutsche Bank wider ihre eigene Kaufempfehlung Aktien verkaufte, und versuchten ebenfalls ihre Telekom-Aktien loszuwerden. Der T-Kurs brach ein.

150 Millionen € verdient, 40 Milliarden € vernichtet
Die Banken müssen bestraft werden, wenn sie Interessenkonflikte in der Complianceabteilung nicht lösen können, kritisierte Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen der Universität Erlangen, den Vorfall. Die Complianceabteilung ist die interne Aufsichtsabteilung einer Bank, die beispielsweise Interessenkonflikte zwischen dem Investment Banking und der Vermögensanlage verhindern und Insidergeschäften oder Geldwäschedelikten nachspüren soll. Im Fall des T-Aktien-Pakets hätte sie entweder den Bericht der Analysten vor der Veröffentlichung stoppen oder aber auf den Verkauf des Pakets samt der Provision verzichten müssen. Wir müssen verhindern, dass solche Konflikte in dieser Form auf uns Anleger zukommen, sagte Gerke.

Ulrich Lissek, der Pressesprecher der Deutschen Telekom, die von dem Deal der Deutschen Bank völlig überrascht wurde, brachte das Kursdebakel der T-Aktie auf eine griffige Formel: Aktien für zwei Milliarden € verkauft, 100 bis 150 Millionen € verdient und 40 Milliarden € vernichtet. Die großen Investmentgesellschaften fürchteten schlimme Folgen für den Konzern und seine Aktie: Vielleicht war das sogar der Dammbruch für die Flucht aus der Aktie, orakelte damals einer der Chefmanager der Investmentfondsgesellschaft DWS. Der Mann hatte Recht. Im Mai 2002 notierte die T-Aktie sogar unter ihrem ersten Emissionskurs.

In einem internen vertraulichen Bericht vom 15. August 2001 gibt die Complianceabteilung der Deutschen Bank, die dafür zuständig ist, dass keine Interessenkonflikte auftreten, die Schuld an dem Kursabsturz den amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs und Merrill Lynch. Beide Häuser hätten am 8. August 2001 das Kursziel für die T-Aktie deutlich nach unten korrigiert: Goldman Sachs habe Marktgerüchten zufolge das Kursziel bei 17 Euro gesehen und Merrill Lynch sei in einer ausführlichen Analystenstudie zu einem Kursziel von 18 Euro zum Jahresende 2001 gekommen und habe den Verkauf dieser Aktien empfohlen. An diesem und den folgenden Tagen gaben im Übrigen auch die Kurse praktisch aller anderen europäischen Telekommunikationswerte erheblich nach“, schreibt die Complianceabteilung in ihrem Bericht.

Der interessierte Leser dürfte sich jetzt fragen, wie der Deutsche-Bank-Analyst Stuart Bird zu einem so deutlich positiveren Kursziel kam, das er in seiner Studie mit 31 Euro angegeben hatte. Auch in dieser Hinsicht vermittelt der Bericht interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Analyse- und Researchabteilung der Deutschen Bank: Der die DT (Deutsche Telekom, Anm. d. Autorin) beobachtende Analyst verfasste seine Studien ausschließlich unter Verwendung öffentlich zugänglicher Informationen und war deshalb kein Insider. Von der Geschäftsabteilung wurde er zuweilen gebeten, bei diesen Kundengesprächen seine Einschätzung zur DT-Aktie zu erläutern. Bevor diese Gespräche sich dann möglichen Geschäften zuwandten, wurde der Analyst ausgeschlossen. An den Gesprächen mit Hutchinson Whampoa hat er nie teilgenommen. Von der bevorstehenden Transaktion wurde er erst im Rahmen der Unterrichtung am 07.08.2001, um 7.15 Uhr ins Bild gesetzt.

So beschreibt der Brief der Complianceabteilung die Aufgabe des Analysten und seine Beteiligung an dem Fall. Interessant ist aber auch, dass der Aktiendeal nicht nur von Deutsche-Bank- Mitarbeitern der Abteilung Equity Capital Markets aus unseren Filialen in London und Hongkong, die am 03.08.2001 zu einem Kundengespräch bei Hutchinson Whampoa zu Gast waren, besprochen wurde, sondern dass dieses Treffen an eine Begegnung hochrangiger Vertreter beider Häuser im Juni d.J. in Frankfurt anknüpfte. In dem Gespräch wurde eine Reihe unterschiedlicher Themen diskutiert, wie die Finanzierung des Hafengeschäfts von Hutchinson Whampoa durch eine Aktienemission und die Möglichkeiten, die Rendite der im Besitz von Hutchinson Whampoa befindlichen Pakete an Vodafone- und DT Aktien zu erhöhen, z. B. als Absicherung von Umtauschanleihen. Zu diesen Themen wurden Präsentationen unter Verwendung unverbindlicher Preisindikationen gegeben. Im Zusammenhang mit dem DT-Paket wurde noch das von dem Analysten in der Kurzstudie vom 24.07.2001 formulierte Preisziel 32 Euro und nicht die im späteren Verlauf dieses Tages veröffentlichten 31 Euro erwähnt. So weit der Rechtfertigungsbrief der Complianceabteilung.

Wie gut, dass der Analyst, der von nichts wusste – erst recht nicht von dem Treffen hochrangiger Vertreter beider Firmen in Frankfurt -, bei seiner im Juli 2001 begonnenen umfassenden T- Aktien-Studie – völlig unabhängig natürlich – zu einem überaus positiven Ergebnis kam. Dass der Bank-Analyst nur ein ganz leicht abweichendes Kursziel von 31 Euro zum Ende des Jahres 2001 prognostizierte statt 32 Euro und die Aktie zum Kauf empfahl, dürfte dem Zustandekommen des Deals sicher geholfen haben. Ob es sich nun um einen Fall von ziemlich unprofessioneller Naivität handelt oder aber besonders raffinierter Kursmanipulation, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen.

Nicht nur für die Anleger, auch für den deutschen Branchenprimus war der Schaden erheblich. Nur zu gern möchte die Deutsche Bank in der Champions League der internationalen Großfinanz, wo die großen Deals eingefädelt und die dicken Provisionen verdient werden, ganz vorne mitmischen. Die meisten dieser lukrativen Geschäfte werden von den großen US-Investmenthäusern wie Goldman Sachs, Merrill Lynch, Morgan Stanley oder Lehman Brothers abgewickelt. Die deutschen Konkurrenten werden höchstens als Juniorpartner von den Amerikanern mit in die Konsortien aufgenommen. So hat der internationale Marktführer Goldman Sachs bei der Platzierung des riesigen Vodafone-Pakets auch mit der Deutschen Bank kooperiert. Allein kam die Deutsche Bank nur dann zum Zuge, wenn Aktienpakete der Deutschland AG, der deutschen Großkonzerne, verschoben wurden. 1999 platzierte sie 3,7 Millionen Allianz- Aktien für mehr als eine Milliarde Dollar. Nach dem Debakel des T-Aktien-Pakets dürfte es mit solchen Soloauftritten erst mal vorbei sein.

Die Pleite der KHD richtig verstehen – detailliertere Information

Kaum hatte Deutsche-Bank-Chef Hilmar Köpper in der letzten Maiwoche des Jahres 1996 seinen Aktionären die glänzenden Ergebnisse des Geschäftsjahrs 1995 präsentiert, verfinsterte auch schon wieder ein langer Schatten das strahlende Bild von Deutschlands größtem Kreditinstitut: Der Kölner Anlagenbauer KHD, eine Industriebeteiligung des Frankfurter Geldkonzerns, stand vor der Pleite. Die Ursache: Verluste in Höhe von 650 Millionen € bei der KHD-Tochter Humboldt-Wedag. Entstanden war diese Schieflage, die mehr als das Doppelte des Grundkapitals der Dachgesellschaft KHD ausmachte, durch Bilanzmanipulationen und unter Preis verkaufte Zementanlagen für Saudi Arabien.

Die Aufsichtsräte unter dem Vorsitz von Deutsche-Bank-Vor- stand Michael Endres wollen von den Machenschaften erst im Mai 1996 durch die Beichte eines Wedag-Managers erfahren haben. Der Schock für Belegschaft, Politiker und Öffentlichkeit: Weder die Repräsentanten des größten Einzelaktionärs noch die Wirtschaftsprüfer der CL Deutsche Revision, eine Tochterfirma der internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Coopers ft Lybrand, die die Jahresabschlüsse testierten, haben etwas von den Bilanzmanipulationen mitbekommen.

Während die Staatsanwaltschaft noch ermittelte, stand bei der Deutschen Bank und der Deutschen Revision bereits fest, dass beide Institute Opfer krimineller Vorgänge geworden sind. Per Telefax ließen die Wirtschaftsprüfer verbreiten: Wir sind uns mit dem Vorstand von KHD darüber einig, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Betrugsmanöver durch Vorstand und Mitarbeiter der Tochtergesellschaft Humboldt-Wedag sowie außenstehende Dritte handelt, für das es im Rahmen der gesetzlichen Abschlussprüfung beim KHD-Konzern keine Hinweise gab. Auch der damalige Deutsche-Bank-Presse-Sprecher Hellmut Hartmann berief sich auf kriminelle Vorgänge, die Aufsichtsräte nicht erkennen könnten.

Warnungen in den Wind geschlagen
Wirklich nicht? So mancher Bankkunde, der für einen kleinen Betriebsmittelkredit oder ein Hypothekendarlehen seine Einkommens- und Finanzlage bis ins kleinste Detail offen legen muss, wundert sich, dass die Deutsche Bank – mit einer 47,6-Prozent- Beteiligung zugleich größte Einzelaktionärin und Kreditgeberin – die Bücher und Auftragslage der KHD-Tochtergesellschaften nicht genauer prüfte. Zumal es sich bei der Wedag um eine der wichtigsten Säulen für die Restrukturierung des Motoren- und Anlagenbauers handelte. An Hinweisen auf eine drohende Schieflage hatte es nicht gemangelt. Nicht nur die Vorstände von Konkurrenzunternehmen wie der Krupp-Tochter Polysius, sondern auch renommierte Unternehmensberater hatten die Aufsichtsräte, allen voran den Vorsitzenden des Kontrollgremiums, Deutsche-Bank- Vorstand Michael Endres, immer wieder vor den mit Verlusten akquirierten Aufträgen der Wedag gewarnt. Wie ein Berater erklärte, seien seine Warnungen bei dem Banker jedoch auf taube Ohren gestoßen. Die Ignoranz der Räte war umso verwunderlicher, als es sich bei KHD um ein mehrfach krisengeschütteltes Unternehmen handelte.

Verfehlte Akquisitionen
Mitte der 80er Jahre hatte der frühere KHD-Chef Bodo Liebe dem 1864 gegründeten Traditionsunternehmen einen verheerenden Expansionskurs verordnet. Er wollte die Kölner Motoren- und Landmaschinenbauer durch Zukäufe von angeschlagenen Firmen, wie dem US-Konzern Allis-Chalmers, zur Nummer eins auf dem Weltmarkt machen. Sein ehrgeiziges Vorhaben kostete KHD etwa eine Milliarde € und endete 1987 in einem riesigen Schuldenberg. Liebes Nachfolger Kajo Neukirchen, heute Chef der in MG Technologies umbenannten Metallgesellschaft, gelang es durch den Verkauf der Tochter Deutz-Allis die größten Verlustquellen zu schließen. Er baute die Belegschaft von über 24.000 Mitarbeitern auf die Hälfte ab. Doch die unter seiner Führung für 600 Millionen € errichtete Motorenfabrik in Köln war zu groß ausgefallen. Die Überkapazitäten belasteten das Ergebnis von KHD. Neukirchens Nachfolger, Werner Kirchgässer, verkaufte die einst hoch angesehene Landtechnik, musste aber dennoch für das Geschäftsjahr 1994 ein Minus von 308 Millionen € melden und verließ das Unternehmen. Seit 1995 steuert der ehemalige Manager der Bremer Vulkan-Werft, Anton Schneider, den Konzern. Schon in jenem Jahr musste die Deutsche Bank KHD vor dem Untergang bewahren, mit Finanzhilfen, die deutlich über 500 Millionen € liegen, wie KHD-Aufsichtsratschef Endres erklärte.

Die Rettung schien damals Ehrensache: Schließlich hatte der Frankfurter Geldkonzern den Niedergang des rheinischen Familienkonzerns, der einst zum Imperium der Brüder Henle gehörte, sozusagen von Anfang an begleitet. Vorstandssprecher Hilmar Köpper hatte sogar sechs Jahre – bis 1994 – den Vorsitz im Aufsichtsrat innegehabt, danach hatte Endres die Führung des Gremiums übernommen.

Auch wenn die Aufsichtsräte von den Managern der Wedag besonders arglistig getäuscht wurden, bleibt ein Makel an der Bank haften. Wieder hatten die Bankvorstände die aktuellen Entwicklungen in einer Firma, für das sie als oberste Kontrolleure Verantwortung trugen, nicht rechtzeitig mitbekommen.

Das Ende der KHD
Früher konnte ein Manager damit rechnen, dass seine Fehler erst seinem Nachfolger auf den Schreibtisch fallen, heute holen sie ihn noch zu seinen Amtszeiten ein, erklärte ein ehemaliger Industriemanager, den der frühere Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen bei Industriesanierungen gern um Rat gefragt hatte. Das trifft auch auf Aufsichtsräte zu. Immer häufiger werden die obersten Kontrolleure mit den Folgen ihrer Entscheidungen noch während ihrer Amtszeit konfrontiert.

Die Deutsche Bank kostete die Rettung weitere 450 Millionen €. Für Deutschlands größtes Kreditinstitut, das 1995 einen Gewinn von 2,1 Milliarden € erwirtschaftete, war das kein Problem. Deutsche-Bank-Chef Köpper beruhigte seine Aktionäre auf der Hauptversammlung: Wir werden unseren Anteilsbesitz und unser Kreditengagement mit der gebotenen Sorgfaltspflicht bewerten. Die Mitarbeiter mussten mit Gehaltskürzungen, Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld für das Missmanagement von Konzernleitung und Aufsichtsrat büßen. Das damals mehr als 132 Jahre alte Unternehmen wurde in Deutz AG umbenannt und zerschlagen. Die bisher rechtlich selbstständigen Konzerntöchter Deutz Motor GmbH, Deutz Service International GmbH, Deutz Service Center Übersee GmbH, KHD Techno-Transfer GmbH und KHD Personaldienste Gesellschaft für Personalbetreuung mbH wurden zum 1. Januar 1997 in die Deutz AG integriert.

Die Motoren-Werke Mannheim AG (MWM) blieben als selbstständige Tochter erhalten, wurden aber in die Marktstrategie der Deutz AG einbezogen. Die Konzerntöchter im Industrieanlagenbau – die KHD Humboldt Wedag AG und die Indumont Industrie- Montage GmbH – wurden verkauft.