Ich wär so gerne Aktionär, sang 1996 Manfred Krug in der millionenschweren Werbekampagne, die die Deutsche Telekom für ihr Börsendebut geschaltet hatte. Die Deutschen, ein Volk von Sparbuchinhabern, sollten sich an der Privatisierung des Staatskonzerns beteiligen und zum Volk von Aktionären werden – mit Hilfe der Volksaktie Telekom. Begleitet wurde der spektakuläre globale Börsengang – die Aktien des größten deutschen Telekommunikationsunternehmens wurden gleichzeitig an den Börsen in New York und Tokio eingeführt – von den ersten Adressen des internationalen Kapitalmarktes. Die deutschen Großbanken waren dabei und auch die internationalen amerikanischen Investmenthäuser.
Der Run auf die Volksaktie
Zum ersten Mal in der deutschen Börsengeschichte wurde eine Aktienplatzierung nach dem so genannten Bookbuilding-Verfahren durchgeführt. Dabei müssen große internationale Investmentgesellschaften wie die Pensionsfonds, die über Milliarden von Anlegerkapital verfügen, Gebote abgeben, zu welchem Preis sie T-Aktien in ihre Portfolios nehmen würden. Die Präsentationstour – im Börsenjargon Roadshow genannt – wurde von einem wahren Medienrummel begleitet, in Deutschland wurde das TV- Publikum allabendlich mit dem Werbespot berieselt – der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Als der Ausgabekurs von 14 Euro bekannt gegeben wurde, war die Volksaktie vielfach überzeichnet, der größte Teil ging an die institutionellen Anleger
wie Banken und Versicherungen. Dennoch kamen auch viele private Käufer zum Zuge und erhielten ihr magentafarbenes Wertpapier.
Heute wünscht sich so mancher Volksaktionär, er wäre bei der Aktienzuteilung nicht zum Zuge gekommen. Nach den anfänglichen Höhenflügen der T-Aktie und einer weiteren Aktienplatzierung im Boomjahr 2000 begann knapp zwölf Monate später der freie Fall: Bei der Hauptversammlung im Mai 2002 stand sie nur noch bei 11,46 Euro, weit unter dem Emissionskurs der ersten Tranche. Und im Juli 2002 wurde sogar die Zehn-Euro-Grenze unterschritten. Der Streit um die Bewertung von Immobilien, die hohen Schulden durch die Ersteigerung der UMTS-Lizenzen, die künftige Handy-Generationen internetfähig machen sollen sowie teure Unternehmensübernahmen haben kräftig am Wert des einstigen Börsenüberfliegers gezehrt.
Auf Schleuderkurs:
der verpatzte Blocktrade der Deutschen Bank
Aber auch die Banken, die die T -Aktien an die Börse gebracht und am Handel mit den Papieren kräftig verdient haben, leisteten sich Pannen, die dem Kurs der Aktie erheblich schadeten. Die größte Blamage dieser Art unterlief im Spätsommer 2001 der Deutschen Bank. Am 6. August war die Welt der T-Aktionäre noch halbwegs in Ordnung. Nach den heftigen Kursverlusten der vergangenen zwölf Monate schien das Papier wieder den Boden für einen neuen Aufstieg gefunden zu haben. Selbst die Analysten der Deutschen Bank gaben eine nachdrückliche Kaufempfehlung ab. Mit Erfolg: Der Kurs legte an diesem Tag um 1,93 Prozent auf 24,26 Euro zu.
Einen Tag später, am Dienstag den 7. August, war wieder Heulen und Zähneklappern angesagt. Die T-Aktie war um 3,47 Prozent auf 23,37 Euro abgesackt und führte die Liste der Verlierer im Deutschen Aktienindex DAX an. Die Papiere werden von institutioneller Seite aggressiv um jeden Preis verkauft, versuchte ein Händler einer Frankfurter Großbank den abrupten Kursverlust zu erklären. Und die Talfahrt ging weiter: Am darauf folgenden Freitag hatte die Volksaktie fast 20 Prozent ihres Werts vom Montag verloren. Als Schlusskurs der schwarzen Börsenwoche für die Papiere des magentafarbenen Riesen wurden noch 19,37 Euro notiert, nachdem die T-Aktie zeitweise sogar auf 18,75 Euro abgestürzt war, den tiefsten Stand seit drei Jahren.
Die Aktionäre waren verärgert: Ron Sommer raubt mir meine Rente, schimpfte ein frustrierter Kleinaktionär auf den Telekom- Chef. Da war er dieses Mal aber an der falschen Adresse. Nach den Kursabstürzen der vergangenen zwölf Monate erhielten die Kleinanleger eine weitere bittere Lektion – jedoch nicht von der Konzernleitung der gebeutelten Telekom, sondern von der Deutschen Bank. Sie zeigte den Volksaktionären wieder einmal deutlich, wie sie im weltweiten Milliardenmonopoly von den großen Spielern abgezockt werden. Der Hintergrund: Nur einen Tag nach der von ihrem Haus herausgegebenen Kaufempfehlung hatten die Investmentbanker versucht, im Auftrag des Telekommunikationskonzerns Hutchinson Whampoa 44 Millionen T-Aktien im Markt unterzubringen – zu einem vereinbarten Kurs von 23,60 Euro.
So genannte Blocktrades, Verkäufe großer Aktienpakete, sind keine Seltenheit an den internationalen Kapitalmärkten. Im Jahr 2000 wurden solche Wertpapierdeals im Wert von knapp 40 Milliarden Dollar abgewickelt. Von Januar bis Anfang August 2001 wurden sogar Pakete für knapp 32 Milliarden Dollar verschoben, hat die britische Beratung Thomson Financial Securities Data, die derartige Wertpapierverkäufe erfasst, ermittelt. Allein vom britischen Telekommunikationskonzern Vodafone wechselten 2001 Aktien im Wert von 6,4 Milliarden Dollar in mehreren Tranchen die Besitzer. Im März wurden 420 Millionen Papiere des Konzerns, der im Jahr 2000 Mannesmann übernommen hatte, veräußert, im Mai noch einmal 182,5 Millionen und im Juni weitere rund 6,65 Millionen.
Gemessen an diesen Volumina nehmen sich die Telekom- Transaktionen mit einem Wert von knapp zwei Milliarden € fast bescheiden aus. Dass dieser Deal dennoch ein Kursdebakel der Sonderklasse verursachte, liegt an den groben Pannen, die den Investment Bankern der Deutschen Bank bei dem hochsensiblen Geschäft offenbar unterliefen.
Blocktrades müssen schnell, vertraulich und marktschonend abgewickelt werden, erklärt Ulrich Ramm, Chefökonom der Commerzbank, die erst Mitte Mai 2001 zusammen mit der US-Investmentbank Merrill Lynch im Auftrag des Energiekonzerns RWE sechs Millionen Aktien von Heidelberger Druckmaschinen im Wert von rund 360 Millionen Euro platziert hat.
In den meisten Fällen gelingt es erfahrenen Aktienhändlern und Investment Bankern selbst Millionen von Wertpapieren innerhalb weniger Stunden per Telefon, Fax oder E-Mail an institutionelle Anbieter zu veräußern. Die Papiere werden zu festen Preisen angeboten oder aber zu Kursen, die in einem beschleunigten Bookbuilding-Verfahren ermittelt werden. Dabei können die Investoren erklären, zu welchem Preis sie eine bestimmte Menge Aktien übernehmen wollen. Danach werden die Aufträge abgewickelt, und die Banker können sich über eine stattliche Provision freuen.
Die Deutsche Bank, die gerne mit dem Slogan Vertrauen ist der Anfang von allem wirbt, hat an dem T-Aktien-Paket rund 150 Millionen € verdient. Viel Geld für ein schnelles Geschäft. Von einem Blocktrade kann in vielen Fällen aber auch der Käufer profitieren. Nicht selten führen solche Transaktionen dazu, dass der Kurs des heimlich in großen Stückzahlen gehandelten Papiers in den darauf folgenden Tagen auch im öffentlichen Handel steigt. So kletterte der Kurs der Sonera-Aktie zwei Tage nach einer derartigen Pakettransaktion von 15,6 Millionen Stück, die einen Erlös von 754 Millionen Euro brachte, von 51,10 Euro am 18. April 2000 auf 56,51 Euro am 20. April und lag damit sogar über dem Wert vom Vortag des Deals. Der französische Pharma und Kosmetikkonzern Sanofi-Synthelabo konnte ebenfalls kurz nach der Platzierung von 15,69 Millionen Papieren einen Kursgewinn von 3,25 Euro pro Aktie verbuchen. Selbst bei dem größten Deal der jüngsten Wirtschaftsgeschichte, dem Verkauf von 564 Millionen Aktien der Firma Vodafone Air Touch PLC, der am 22. März 2000 mehr als drei Milliarden Dollar einbrachte, stieg der Kurs der Vodafone-Aktie am 23. März zunächst um 2,50 Pfund.
Abstürze wie im Fall Telekom sind gerade beim Verkauf von Blue-Chip-Aktienpaketen außerordentlich selten. Und dennoch gelang der Deutschen Bank genau dies mit ihrem Alleingang. Die Käufer des Pakets hatten sich zwar auf einen Kurs von 23,60 Euro geeinigt. Weil die Researchabteilung der Deutschen Bank am Vortag jedoch noch eine Studie veröffentlicht hatte, in der die Telekom-Aktien zum Kauf empfohlen wurden, fand der Paketverkauf plötzlich nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf offener Bühne statt. Fondsmanager und Privatanleger fühlten sich genarrt, weil die Deutsche Bank wider ihre eigene Kaufempfehlung Aktien verkaufte, und versuchten ebenfalls ihre Telekom-Aktien loszuwerden. Der T-Kurs brach ein.
150 Millionen € verdient, 40 Milliarden € vernichtet
Die Banken müssen bestraft werden, wenn sie Interessenkonflikte in der Complianceabteilung nicht lösen können, kritisierte Wolfgang Gerke, Professor für Bank- und Börsenwesen der Universität Erlangen, den Vorfall. Die Complianceabteilung ist die interne Aufsichtsabteilung einer Bank, die beispielsweise Interessenkonflikte zwischen dem Investment Banking und der Vermögensanlage verhindern und Insidergeschäften oder Geldwäschedelikten nachspüren soll. Im Fall des T-Aktien-Pakets hätte sie entweder den Bericht der Analysten vor der Veröffentlichung stoppen oder aber auf den Verkauf des Pakets samt der Provision verzichten müssen. Wir müssen verhindern, dass solche Konflikte in dieser Form auf uns Anleger zukommen, sagte Gerke.
Ulrich Lissek, der Pressesprecher der Deutschen Telekom, die von dem Deal der Deutschen Bank völlig überrascht wurde, brachte das Kursdebakel der T-Aktie auf eine griffige Formel: Aktien für zwei Milliarden € verkauft, 100 bis 150 Millionen € verdient und 40 Milliarden € vernichtet. Die großen Investmentgesellschaften fürchteten schlimme Folgen für den Konzern und seine Aktie: Vielleicht war das sogar der Dammbruch für die Flucht aus der Aktie, orakelte damals einer der Chefmanager der Investmentfondsgesellschaft DWS. Der Mann hatte Recht. Im Mai 2002 notierte die T-Aktie sogar unter ihrem ersten Emissionskurs.
In einem internen vertraulichen Bericht vom 15. August 2001 gibt die Complianceabteilung der Deutschen Bank, die dafür zuständig ist, dass keine Interessenkonflikte auftreten, die Schuld an dem Kursabsturz den amerikanischen Investmentbanken Goldman Sachs und Merrill Lynch. Beide Häuser hätten am 8. August 2001 das Kursziel für die T-Aktie deutlich nach unten korrigiert: Goldman Sachs habe Marktgerüchten zufolge das Kursziel bei 17 Euro gesehen und Merrill Lynch sei in einer ausführlichen Analystenstudie zu einem Kursziel von 18 Euro zum Jahresende 2001 gekommen und habe den Verkauf dieser Aktien empfohlen. An diesem und den folgenden Tagen gaben im Übrigen auch die Kurse praktisch aller anderen europäischen Telekommunikationswerte erheblich nach“, schreibt die Complianceabteilung in ihrem Bericht.
Der interessierte Leser dürfte sich jetzt fragen, wie der Deutsche-Bank-Analyst Stuart Bird zu einem so deutlich positiveren Kursziel kam, das er in seiner Studie mit 31 Euro angegeben hatte. Auch in dieser Hinsicht vermittelt der Bericht interessante Einblicke in die Arbeitsweise der Analyse- und Researchabteilung der Deutschen Bank: Der die DT (Deutsche Telekom, Anm. d. Autorin) beobachtende Analyst verfasste seine Studien ausschließlich unter Verwendung öffentlich zugänglicher Informationen und war deshalb kein Insider. Von der Geschäftsabteilung wurde er zuweilen gebeten, bei diesen Kundengesprächen seine Einschätzung zur DT-Aktie zu erläutern. Bevor diese Gespräche sich dann möglichen Geschäften zuwandten, wurde der Analyst ausgeschlossen. An den Gesprächen mit Hutchinson Whampoa hat er nie teilgenommen. Von der bevorstehenden Transaktion wurde er erst im Rahmen der Unterrichtung am 07.08.2001, um 7.15 Uhr ins Bild gesetzt.
So beschreibt der Brief der Complianceabteilung die Aufgabe des Analysten und seine Beteiligung an dem Fall. Interessant ist aber auch, dass der Aktiendeal nicht nur von Deutsche-Bank- Mitarbeitern der Abteilung Equity Capital Markets aus unseren Filialen in London und Hongkong, die am 03.08.2001 zu einem Kundengespräch bei Hutchinson Whampoa zu Gast waren, besprochen wurde, sondern dass dieses Treffen an eine Begegnung hochrangiger Vertreter beider Häuser im Juni d.J. in Frankfurt anknüpfte. In dem Gespräch wurde eine Reihe unterschiedlicher Themen diskutiert, wie die Finanzierung des Hafengeschäfts von Hutchinson Whampoa durch eine Aktienemission und die Möglichkeiten, die Rendite der im Besitz von Hutchinson Whampoa befindlichen Pakete an Vodafone- und DT Aktien zu erhöhen, z. B. als Absicherung von Umtauschanleihen. Zu diesen Themen wurden Präsentationen unter Verwendung unverbindlicher Preisindikationen gegeben. Im Zusammenhang mit dem DT-Paket wurde noch das von dem Analysten in der Kurzstudie vom 24.07.2001 formulierte Preisziel 32 Euro und nicht die im späteren Verlauf dieses Tages veröffentlichten 31 Euro erwähnt. So weit der Rechtfertigungsbrief der Complianceabteilung.
Wie gut, dass der Analyst, der von nichts wusste – erst recht nicht von dem Treffen hochrangiger Vertreter beider Firmen in Frankfurt -, bei seiner im Juli 2001 begonnenen umfassenden T- Aktien-Studie – völlig unabhängig natürlich – zu einem überaus positiven Ergebnis kam. Dass der Bank-Analyst nur ein ganz leicht abweichendes Kursziel von 31 Euro zum Ende des Jahres 2001 prognostizierte statt 32 Euro und die Aktie zum Kauf empfahl, dürfte dem Zustandekommen des Deals sicher geholfen haben. Ob es sich nun um einen Fall von ziemlich unprofessioneller Naivität handelt oder aber besonders raffinierter Kursmanipulation, bleibt dem Urteil des Lesers überlassen.
Nicht nur für die Anleger, auch für den deutschen Branchenprimus war der Schaden erheblich. Nur zu gern möchte die Deutsche Bank in der Champions League der internationalen Großfinanz, wo die großen Deals eingefädelt und die dicken Provisionen verdient werden, ganz vorne mitmischen. Die meisten dieser lukrativen Geschäfte werden von den großen US-Investmenthäusern wie Goldman Sachs, Merrill Lynch, Morgan Stanley oder Lehman Brothers abgewickelt. Die deutschen Konkurrenten werden höchstens als Juniorpartner von den Amerikanern mit in die Konsortien aufgenommen. So hat der internationale Marktführer Goldman Sachs bei der Platzierung des riesigen Vodafone-Pakets auch mit der Deutschen Bank kooperiert. Allein kam die Deutsche Bank nur dann zum Zuge, wenn Aktienpakete der Deutschland AG, der deutschen Großkonzerne, verschoben wurden. 1999 platzierte sie 3,7 Millionen Allianz- Aktien für mehr als eine Milliarde Dollar. Nach dem Debakel des T-Aktien-Pakets dürfte es mit solchen Soloauftritten erst mal vorbei sein.