Börse für Anfänger – TÜV für Börsentauglichkeit

Zur Börse drängt es noch immer viele Unternehmen. Trotz Ernüchterung im Schockjahr 2000 und massivem Liebensentzug der Anleger. Aber der Zug der Lemminge ist nicht mehr so groß. Und schon wieder droht neue Unbill. Denn zwei Drittel der Aspiranten, so eine Untersuchung der Prüfungsgesellschaft Arthur Andersen bei 430 Unternehmen, seien nicht börsentauglich. Nur ein Drittel dürfte dabei sein. Nicht zu glauben!

Defizite finden sich ausgerechnet bei der Unternehmensplanung und im Rechnungswesen. Rund ein Viertel der Firmen hat noch keine vollständigen Planabschlüsse, obwohl die Zulassung am Neuen Markt verlangt, dass die Emissionsbanken, die Wirtschaftsprüfer oder die Betreuer (designated Sponsors) den Businessplan auf Plausibilität überprüfen (due diligence). Und ein Fünftel sagt: Nein, ein börsenfähiges Rechnungswesen gibt’s bei uns (noch) nicht. Na fein. Wehret diesen Anfängern!! Wehe, wenn sie zugelassen …

Aber ist es denn bei den schon Notierten ganz anders? Bei manchen nicht Unbekannten am Neuen Markt hört man derzeit fast schamhaft was von schlampiger Buchführung – jetzt, da das Zahlenwerk für 2000 auf den Tisch kommen soll. Arme Aktionäre. Da kommen wohl noch einige Überraschungen. Wenn schon der Finanzchef von Ex-Superstar EM.TV seinen Hut nehmen musste … Aber wie soll schon Max Planck gesagt haben: Die Wissenschaft entwickelt sich von Begräbnis zu Begräbnis weiter.

Aber gibt es nicht nach dem Going-public-Run nun auch den Gegentrend Going private? Immer mehr Unternehmen werden auf eigenen Wunsch de-listed. Bekannte Marken wie Aino (Küchen), Benz (Möbel) oder Grohe (Armaturen) reprivatisierten schon, Mitglieder aus dem M- und S-DAX. Ja, da kommt Stress auf, wenn man als gemütliches Familienunternehmen als AG an die Börse geht. Da weht der Wind schon heftiger.

Ein auf lange Sicht unbefriedigender Kursverlauf, unterschiedliche Auffassungen zwischen Anlegern und Management über langfristige Marktstrategien, stetige Veränderungen der Börsenströmungen oder geringe Erfolgschancen für eine weitere Kapitalerhöhung führen zu einem Umdenken bei der Kosten-Nutzen-Betrachtung, so die Unternehmensberatung Droege & Comp, in Düsseldorf.

Und dann ständig nörgelnde Anleger am Telefon, im Internet oder auf den Hauptversammlungen. Vermögensberater geben sich die Tür in die Hand: Darf ich den Finanzvorstand mal um folgende Auskünfte bitten? Und die ständigen Berichte fürs Quartal, den Monat, das Jahr – natürlich nach IAS und US-GAAP. Muss nicht sein, sagen sich viele. Mach ich nicht mehr. Obwohl die Umwandlung einer börsennotierten Gesellschaft in eine andere Rechtsform hübsch komplex ist, stehen noch mehr auf der Liste des Abflugs von der Börse. 20 bis 25 Prozent aller am Neuen Markt gehandelten Unternehmen kommen angeblich für ein Delisting infrage. Es ist schon paradox: bei der Auswahl will man strenger sein, und die, die notiert werden könnten, haben wegen dieser Strenge keinen Bock mehr.

Der Emissions-Knigge
Beim Börsengang von mittelständischen Unternehmen tragen die emissionsbegleitenden Banken eine besonders große Verantwortung. Diese erstreckt sich nicht nur auf eine erfolgreiche Platzierung, sondern geht weit darüber hinaus. Eine der dringlichsten Aufgaben ist die Vorbereitung und auch die Betreuung des Managements auf eine völlig neue Lebenssituation.

Die Gontard & Metall Bank hat einen Maßnahmenkatalog entwickelt, der in diesem Zusammenhang schon oft als vorbildliche Guideline zitiert und scherzhaft als Folterkammer tituliert wurde.

  1. Charaktercheck des Managements:

Schon im Vorfeld müssen die Emissionsbanken überprüfen, ob Charakter und Moralvorstellungen der Vorstände und Altaktionäre der emittierenden Gesellschaft den Ansprüchen und Wertmaßstäben der Investoren gerecht werden. Dies beinhaltet unter anderem die Einschätzung, ob die verantwortlichen Personen die Kraft haben, den mit dem Börsengang verbundenen Anforderungen gerecht zu werden. Die Akteure müssen vor allem der Versuchung des schnellen Geldes widerstehen

können! Es ist wichtig, bereits in der Emissionsberatung die Altaktionäre darauf hinzuweisen, dass sich das Leben nach dem Börsengang spürbar ändert. Vorstände und Altaktionäre müssen wissen, dass sie vom Kapitalmarkt abgestraft werden, wenn sie glauben, nun würde das süße Leben beginnen. Das Gegenteil ist der Fall: Investoren wie Analysten haben ein langes Gedächtnis für Versäumnisse. Spätestens bei einer Kapitalerhöhung wird man für die Sünden der Vergangenheit bestraft. Deshalb gehört zu einem disziplinierten Arbeiten ab dem Tag danach ein Sanktionskatalog.

  1. Altaktionäre verzichten auf Bonus/Dividende bei Nichterreichen der Ziele:

Allzu oft werden die Anleger beim IPO-Kandidaten mit der Botschaft konfrontiert, dass nach jahrelanger Durststrecke ausgerechnet in den nächsten zwei Jahren der Gewinn kräftig steigen soll. Dieser Hockeystick-Effekt führt mit einem entsprechenden KGV-Multiplikator schnell zu einer erstaunlich hohen Bewertung der Gesellschaft. Bei den Gontard- &-Metall-Bank-Emissionen wird in diesem Zusammenhang darauf geachtet, dass die Altaktionäre bei einer Dividendenausschüttung auf ihre Zahlung verzichten müssen, wenn sie die ambitionierten Ziele nicht erreichen. Sind Altaktionäre zugleich Vorstandsmitglieder der Gesellschaft, werden sie durch einen Bonusverzicht daran erinnert, dass sie beim Börsengang höhere Ziele avisiert hatten. Dieser Vorgang ist dem Ereignis vergleichbar, wenn an Weihnachten nur Knecht Ruprecht kommt.

  1. Das Management und die Mitarbeiter werden beteiligt:

Um die Ergebnisziele zu erreichen, wirkt es häufig wie Doping, wenn die Mitarbeiter bereits im Vorfeld zusammen mit dem Management an der Gesellschaft beteiligt werden. Diese Maßnahme stärkt die Gesamtverantwortung der Belegschaft und schärft den unternehmerischen Geist. Hierbei fällt dem Chronisten das Beispiel des hungrigen Hundes ein, der gern und begeistert nach der Wurst springt.

    1. Der IPO-Erlös fließt zu mehr als 75 Prozent dem Unternehmen zu:

Wenn man die Liste der misslungenen Börsengänge analysiert, ist festzustellen, dass sich in diesen Fällen häufig die Altaktionäre schon zum Börsengarig in großem Stil von ihren Papieren getrennt haben. Der neue Aktionär finanziert somit das Abkassieren der Alteigner. Kein Wunder, wenn in der Folge die realen Ergebnisse nicht den Planzahlen entsprechen. Deshalb ist streng darauf zu achten, dass der IPO- Erlös zum überwiegenden Teil dem Unternehmen zufließt. Damit wird gewährleistet, dass die Altaktionäre hungrig bleiben.

  1. Eheverträge sind ein Muss:

Wie eine Seifenblase platzt mancher Traum vom glücklichen Leben zu zweit, wenn nach erfolgtem Börsengang der Depotauszug schwarz auf weiß belegt, wie groß das gemeinsame Vermögen nun ist. Begehrlichkeiten werden geweckt, außerdem ist es häufig leider so, dass mit dem Kontostand der Verstand nicht mitwächst. Der Glaube an die Geldillusion kann Ehen zerbrechen. Um zu vermeiden, dass es durch gescheiterte Ehen zu einem kräftigen Leistungsabfall im Unternehmen kommt, sollten Eheverträge zwingend vorgeschrieben werden. Damit sind die Besitzverhältnisse innerhalb der Familie vertraglich klargestellt, bevor die Gier den Verstand frisst.

  1. Die Lock-up-Frist wird verlängert:

Zur Verstärkung der oben genannten Gebote dient die Erweiterung der Marktschutzklausel. Damit signalisieren die Altaktionäre dem Anleger, dass sie sich langfristig mit ihrem Unternehmen identifizieren. Zugleich wird den Emittenten der Wind aus den Segeln genommen, die behaupten, der Emissionspreis sei zu niedrig. Wo sonst als im eigenen Unternehmen kann Geld mehr verdienen? Die von der Gontard & Metall Bank konzipierte Management- beziehungsweise Mitarbeiterbeteiligung sieht beispielsweise Sperren bis zu drei Jahren vor. Herausragend ist die Heyde AG, bei der sich die Altaktionäre bis zu 10 Jahre an das Unternehmen gebunden haben. Ein echter Lockruf des Geldes!

  1. Der Aufsichtsrat wird durch erfahrene Manager der Wirtschaft besetzt: Häufig neigen mittelständische Unternehmer dazu, die Aufsichtsratspositionen mit ihren Freunden aus dem Tennisclub zu besetzen. Irritierend ist auch die Feststellung, dass der Wirtschaftsprüfer aus Vereinfachungsgründen gleich mit in den Aufsichtsrat einzieht. Dies hat natürlich zur Folge, dass er letztlich sich selbst prüft. Die Selbstkontrahierung wird dadurch unterbunden, dass dem Vorstand erfahrene Haudegen als Aufsicht, aber auch mit Rat und Tat zur Seite gestellt werden.
  2. Der Emittent wird zur Durchführung einer Post-Due-Diligence in den Folgejahren verpflichtet:

Der bisher beschriebene Maßnahmenkatalog wird gekrönt durch die Verpflichtung, auch zwölf beziehungsweise 24 Monate nach dem Börsengang den Due-Diligence-Prüfer zu bestellen. Damit wird unter anderem erreicht, dass der Vorstand im Falle einer Zielverfehlung diese offiziell auch bestätigt bekommt. Damit schließt sich der Kreis und die zuvor genannten Sanktionen dürften zu wirken beginnen.

  1. Corporate Governance Commitment:

Es wird künftig zur Pflichtübung der Emissionshäuser werden, ihre Börsenneulinge behutsam an die Inhalte und die Bedeutung von Corporate Governance heranzuführen, damit diese im harten Wettbewerb um Eigenkapital langfristig bestehen können. Corporate Governance ist die langfristig ausgerichtete erfolgsorientierte Unternehmensleitung und verantwortliche Unternehmensüberwachung. Es betrachtet demnach Kompetenzen, Kommunikation und Kontrolle von Entscheidungsgremien börsennotierter Unternehmen. Zielsetzung ist ein Transparenz- und Vertrauensgewinn bei Mitarbeitern, der interessierten Öffentlichkeit und natürlich Investoren, die eine Wertsteigerung ihres Vermögens erwarten.

  1. Börsengang nicht verschieben:

Schwarzer Oktober: Ein Drittel aller Neuemissionen abgesagt – Ausgelassene Stimmung weicht Katerstimmung. So zog Die Welt am 2. November 2000 eine Monatsbilanz. Anstatt der geplanten zwölf wagten nur acht Gesellschaften ihr Börsendebüt. Die Verschiebung eines IPOs entspricht nicht der Philosophie der Gontard & Metall Bank, denn diese Verzögerung verursacht nicht nur zusätzliche Kosten, sondern auch einen erheblichen Imageschaden – bei Investoren, Kunden und Mitarbeitern des Emittenten. Der Dampf ist raus und nur schwer wieder in die Gesellschaft hineinzubringen. Da ist es besser, in trüber Stimmung durchzumarschieren und Preisabschläge hinzunehmen. Dies lässt Chancen für eine überzeugende und stetige Kursentwicklung.

  1. Langfristiges Commitment der Betreuer:

Das Commitment der Konsortialbank endet nicht mit der Erstnotierung der Aktie. Die Gontard & Metall Bank verpflichtet sich dazu, die Funktion des Designated Sponsor für einen Zeitraum von mindestens drei Jahren zu übernehmen. Diese Funktion beinhaltet darüber hinaus zwingend die Erstellung von Researchstudien. Es darf nicht passieren, dass die Bank als Erste durch den Notausgang verschwindet, wenn sie merkt, dass die Luft dünn wird.

  1. Krisenmanagement:

Die Verantwortung der Emissionsbank kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn die Gesellschaft in eine Schieflage gerät. Sollte sich die Gontard & Metall Bank AG tatsächlich in einem Unternehmen oder einem Unternehmer getäuscht haben, muss sie rasch handeln. So hat die Bank die Ablösung des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von DataDesign herbeigeführt, nachdem erkennbar war, dass Prognosen nicht erreicht würden. Auch bei Prodacta hat die Bank ein neues Ma

nagement installiert. Inzwischen sind beide Gesellschaften Musterbeispiele eines Turnaround-Unternehmens.

Entgegen der verbreiteten Meinung, dass dieser -Knigge- Geschäfte verhindere, wird der Leitfaden in der Zwischenzeit vielmehr als Qualitätssiegel von Anlegern und Emittenten sehr geschätzt und hat eine Vorbildfunktion erlangt.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz hat als erste Institution ihrer Art die Verlängerung der Lock-up-Fristen in den eigenen Forderungskatalog übernommen. Auch die Zulassungsstelle der Deutsche Börse AG dreht berechtigterweise inzwischen an verschiedenen Stellschrauben, um dem Missbrauch des Marktes vorzubeugen. Viele Emissionsdienstleister nehmen mittlerweile dem Emissions-Knigge ähnliche – über die Anforderungen des Neuen Marktes hinausgehende – Regeln in ihre Bedingungen für Emittenten auf, um dem potenziellen Investor die Anlageentscheidung zu erleichtern.

Jobmaschine Neuer Markt
Obwohl der Neue Markt durch Pleiten stark in Verruf geraten ist, auch Vertrauen durch Machenschaften verspielt wurde, sollte eines nicht unterschätzt werden: Die Börse der jungen, wilden, innovativen Unternehmen ist eine richtige Jobmaschine. Seit ihrem Start (10. März 1997) ist eine Reihe von Arbeitsplätzen generiert worden. Börsenboss Seifert ging gern mit der Zahl 50 000 hausieren.

Eine zum Jahresende 2000 veröffentlichte Umfrage unter den im Nemax 50 enthaltenen Unternehmen hat ergeben, dass die große Mehrheit der Firmen, knapp 84 Prozent, im vergangenen Jahr neue Mitarbeiter eingestellt hat. Mehr als 30 Prozent verdoppelten sogar ihre Beschäftigtenzahl. Darunter sind allerdings nicht nur Neueinstellungen, sondern auch Mitarbeiter aus Unternehmen, die zugekauft wurden.

Auch im Jahr 2001 suchen die Neuer-Markt-Firmen noch weiter Mitarbeiter, vor allem Softwareentwickler und technische Berater. Branchenkenner sehen in erster Linie bei den Biotech- und Logistikfirmen weiteres Beschäftigungswachstum.

Neben den direkt von den Unternehmen im Neuen Markt geschaffenen Arbeitsplätzen darf man die indirekten Effekte auf das Umfeld nicht vergessen, das heißt die Ankurbelung der Beschäftigung bei den Banken, Börsen, Wirtschaftsprüfern, Medien und vor allem im Internet. Ein regelrechter

Boom ist bei Public-Relations- und Investor-Relations-Agenturen ausgebrochen.

Klar ist: Hätte es den Neuen Markt nicht gegeben, wären viele gute, zukunftsträchtige Ideen weiter in den Schubladen geblieben, und der Anschluss an das Weltniveau, gerade bei den neuen Technologien, von Biotech bis Gentech und Telekommunikation, wäre verpasst worden … Wer als Bittsteller bei Bank oder Sparkasse um einen Kredit für seine Geschäftsidee nachsuchte, der musste doch gleich das berühmte Häuschen von der Oma als Sicherheit mitbringen. Mit dem Neuen Markt ist eine neue und unabhängige Geldquelle erschlossen worden.

Auch für bisher unbekannte Größen in der Medien- und weiten Filmlandschaft. Wer gab diesen Künstlern“ schon Kredit … Und die gerieten durch diese Kapitalnot in völlige Abhängigkeit von den Amerikanern. Beispiele wie Constantin, Senator, Das Werk, aber auch die viel kritisierte EM.TV zeigen, dass deutsche Unternehmen mit den Großen dieser schillernden Welt nicht nur mithalten können, sondern auch Trends setzen.

Auch der Wissenstransfer von den Universitäten, der immer so heftig eingeklagt wurde, ist durch Ausgründungen und den Gang an die Börse gottlob breiter geworden. Vor der Ära des Neuen Marktes undenkbar!

Das Erwachen der deutschen Börsen AG

Moderne Effektenbörsen, wie wir sie heute kennen, entstanden in den deutschsprachigen Teilen Europas erst verhältnismäßig spät. Die Londoner Börse verfügte 1697 bereits über einen Kurszettel, der an den Marktplätzen ausgehängt wurde, damit sich jeder über die Kurse informieren konnte. Amsterdam folgte mit dieser Errungenschaft erst 1714, allerdings gab es dort schon eine Börsenordnung. Damals waren in Amsterdam 34 Aktiengesellschaften notiert.

Und noch etwas hatten die Holländer den Deutschen und Österreichern voraus: Sie kannten auch schon alle Tricks und Schwindel des Börsengeschäfts. Der Börsenmakler Joseph De La Vega schrieb bereits 1688 das erste Buch über die Börse, also knapp 300 Jahre vor Kostolany, in dem er Strategien, aber auch Manipulationsmethoden detailliert darstellte. Einer der Lieblingstricks jener Zeit war das Erfinden von kursbeeinflussenden Nachrichten. Kommt einem doch irgendwie bekannt vor, oder?

London, Antwerpen und Amsterdam waren also die ersten echten Effektenbörsen. Das bedeutet, dass dort Wertpapiere gehandelt werden, die lediglich nach ihrer Gattung, Stückzahl und ihrem Betrag definiert sind, ohne dass sie tatsächlich körperlich an der Börse vorhanden sein müssen, um gehandelt werden zu können.

Die Wiener Börse wurde erst im September 1771 gegründet, doch blieb es an dieser Börse einige Jahrzehnte recht still. Die Frankfurter Börse begann erst 1816 mit dem regelmäßigen Effektenhandel und war bis zur Reichsgründung 1871 die bedeutendste Börse in Deutschland, bis sie von Berlin abgelöst wurde. Die ersten Aktien wurden in Frankfurt 1820 gehandelt. In Hamburg begann der Effektenhandel 1815. In dieser Zeit dominierten aber immer noch die festverzinslichen Wertpapiere gegenüber den Anteilspapieren.

In den Jahren 1825 und 1826 kam es in England zu einer schweren wirtschaftlichen Krise, der schlimmsten seit dem Südseeschwindel von 1720. Ausgelöst wurde diese Krise durch den restriktiven Eingriff der Bank of England in den überhitzten Finanzmarkt Londons, der zu der Zeit der weltweit größte war. Als Folge brachen 1825 in England über 70 Banken sowie 3 600 andere Unternehmen zusammen. Diese Krise breitete sich dann über Holland und Frankreich auch bis nach Deutschland und Österreich aus.

Die Hauptkrisenursache sah man in Deutschland in den seit 1816 gebräuchlichen Zeitgeschäften. Gemeint war damit der Terminhandel, der sehr schnell mit Scheingeschäften und Schwindel gleichgesetzt wurde, während das normale Kassageschäft als reelles kaufmännisches Handeln galt. 1836 wurden in Preußen alle Zeitgeschäfte verboten. Seit 1840 wurden immer mehr Aktien in Deutschland gehandelt. Dabei konzentrierte man sich auf die neuen Technologien, nämlich auf die Eisenbahn. Industrie- und Bankaktien kamen erst etwas später hinzu. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedurfte jede einzelne Gründung einer Kapitalgesellschaft einer besonderen Genehmigung durch den preußischen König. Auch in den anderen deutschen Ländern gab es keine allgemeine gesetzliche Regelung der Gründung von Aktiengesellschaften. Erst im November 1843 wurden in Preußen das Börsenwesen und das Aktienrecht festgeschrieben. Aktiengesellschaften konnten nun unabhängig von der Branche, in der sie tätig waren, gegründet werden – mit Ausnahme des Bankensektors.

Die bemerkenswertesten Börsengeschäfte und größten Spekulationskrisen stehen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ganz eindeutig im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau. Bereits die erste deutsche Eisenbahh zwischen Nürnberg und Fürth wurde 1835 mit einem Aktienkapital von 177 000 Gulden gebaut. Die 207 Aktionäre gehörten überwiegend dem bürgerlichen Stand an. Sie waren Kaufleute, Ärzte, Verleger, aber es waren auch Beamte und Offiziere dabei. Die Kurse der ausgegebenen Aktien lagen Ende 1835 20 unter pari, stiegen dann sogar auf 500 Gulden im Jahre 1837 und bewegten sich auch 1847 noch deutlich über 300. Man kann in dieser Zeit von einem wahren Eisenbahnfieber sprechen.

Ab 1840 wurden dann die großen Linien gebaut, so zum Beispiel 1843 die Köln-Mindener Eisenbahn, deren Gesellschaft immerhin mit einem Kapital von 13 Millionen Talern gegründet wurde. Die Rheinische Bahn von Köln nach Antwerpen kam 1837 noch mit 2 Millionen Talern aus. In erster Linie war das breite Publikum noch an der Dividende interessiert, die bei der von Nürnberg nach Fürth fahrenden Ludwigs-Eisenbahngesellschaft schon kurz nach Inbetriebnahme der Bahn bei 17,25 Prozent lag. Überall in Deutschland entstanden neue Eisenbahnlinien. Von Berlin nach Potsdam, von Braunschweig nach Wolfenbüttel, von Düsseldorf nach

Erkrath und von Leipzig nach Dresden. Insgesamt wurden zwischen 1838 und 1846 über 100 Millionen Taler in den Eisenbahnbau gesteckt. Und weil die Renditeerwartung so hoch war, kam es schon damals zu einer Überzeichnung der Aktien, wie wir es auch bei Technologiewerten am Neuen Markt kennen.

Die Eisenbahnaktie als Kapitalanlage war so beliebt, dass der preußische Staat befürchtete, anderen Wirtschaftszweigen würde das Kapital entzogen. Man liebäugelte mit dem Verbot des Baues weiterer Eisenbahnlinien. Das drückte natürlich die Kurse. Aber auch andere Ereignisse konnten sich kursbeeinflussend auswirken. So zum Beispiel die schlimmen Missernten in den Jahren 1846 und 1847, die in den Folgejahren die Eisenbahnaktien in England auf 28 Prozent des vorherigen Kurswerts drückten, während sich die Werte in Deutschland nur halbierten.

Mitte des 19. Jahrhunderts kamen dann neben den Eisenbahn- auch Bankaktien an die Börse, die jedoch anfangs noch misstrauisch beäugt wurden. Es folgten dann die Industrieaktien, auf die man in Frankfurt eher zurückhaltend reagierte, während die Berliner sie durchaus positiv aufnahmen. Zu diesen Industrieaktien gehörten auch etliche Bergwerks- und Hüttenunternehmen, unter anderem die Harpener Bergbau-Actien-Gesellschaft, die 1856 gegründet wurde und die es heute immer noch gibt, obgleich der schweizerische Finanzjongleur Werner K. Rey in den neunziger Jahren versucht hat, das Unternehmen auszuschlachten, während die deutschschweizerische PR-Agentur Trimedia dafür zu sorgen hatte, dass er nach außen hin sein Mäntelchen der Seriosität bewahren konnte, bis er dann für Jahre untertauchte.

Seit den fünfziger Jahren des 19- Jahrhunderts gab es in Deutschland eine rege Investitionstätigkeit, die durch den Deutsch-Österreichischen Krieg 1866 eine leichte Delle bekam, während der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 durch die steigende Nachfrage an Kriegsmaterialien einen zusätzlichen Investitionsschub auslöste.

Die Historiker sind sich darüber einig, dass der Aufschwung der Wertpapierbörsen nach 1850 ohne die Innovationen im Bereich der Informationsvermittlung nicht möglich gewesen wäre. 1848 wurde die erste elektromagnetische Telegrafenverbindung zwischen Frankfurt und Berlin installiert, und schon ein Jahr später gründete B. Wolff in Berlin das Wölfische thelegraphische Bureau-. Wenige Jahre später entstanden mehrere verschiedene Börsenzeitungen, und auch die allgemeinen Tageszeitungen enthielten Börsenberichte und aktuelle Meldungen, die sie von den telegrafischen Büros bezogen.

1862 wurde durch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch das Aktienrecht in Deutschland und Österreich einheitlich gefasst, allerdings nur für Aktiengesellschaften, die gewerbsmäßig Handel betrieben. Die einzelnen Staaten konnten nun auf die Genehmigungspflicht für die Neugründung von Aktiengesellschaften verzichten, doch machten keineswegs alle davon Gebrauch.

Das neue Aktiengesetz des Norddeutschen Bundes von 1870, das 1971 auch von den süddeutschen Ländern und 1874 von Elsass-Lothringen eingeführt wurde, brachte eine weitgehende Liberalisierung. Während die Gesellschaften bisher eine staatliche Konzession brauchten, fiel diese für die Zukunft weg. Nun wurde auch in Preußen die Gründung von Aktienbanken ermöglicht. Übrigens wurden damals auch die Aktiengesellschaften verbindlich verpflichtet, einen Aufsichtsrat als Kontrollorgan des Vorstands einzusetzen.

Zu der Zeit wurden in Berlin 325 Wertpapiere notiert, davon waren knapp ein Drittel in- und ausländische Staatspapiere, die überwiegende Zahl (über 180) unterschiedliche Eisenbahnaktien, und es gab 55 Bank- und Industrieaktien. Frankfurt war hingegen immer noch hauptsächlich auf Staatspapiere konzentriert.

In den Jahren 1871 bis 1873 folgte die so genannte Gründerzeit. Es wurden in Deutschland 928 Aktiengesellschaften mit einem Gesamtkapital von 2,78 Milliarden Euro gegründet. Dabei lag das Schwergewicht in der Montan-, Eisenbahnbaubedarfs- und Maschinenbauindustrie. Jedoch wurden auch in den Jahren 1870 bis 1872 in Deutschland 107 Aktienbanken mit einem Kapital von insgesamt 740 Millionen Euro gegründet, von denen die Deutsche Bank, die Commerzbank und die Dresdner Bank heute noch existieren.

Der Konjunkturaufschwung und das Interesse an Aktien lässt sich ab 1868 als ein internationales Phänomen nach weisen, wobei sich die Österreicher besonders hervortaten. Dort hatte sich zwischen 1866 und 1873 die Zahl der Eisenbahngesellschaften um 185 Prozent vermehrt, die der Industrie- und Baugesellschaften um über 970 Prozent, was die Grundstückspreise enorm in die Höhe trieb, und die der Aktienbanken um 305 Prozent.

An der Börse zockten die Österreicher wie die Wilden. Aber auch die Deutschen machten in Wien mit. Das durch die Reparationszahlungen von Frankreich in Deutschland freigegebene Kapital, rund 2,5 Milliarden Euro bei einem Nettosozialprodukt in Höhe von 16 Milliarden Euro, wurde auch flugs nach Wien transferiert. Ungefähr eine Milliarde wanderte dahin, da der Aufschwung an der Wiener Börse exorbitante Gewinne versprach.

Als es dort im Frühjahr 1873 zu Problemen kam, woran unter anderem ungünstige politische Meldungen Schuld hatten, weitete sich diese Krise innerhalb von wenigen Monaten auch auf die deutschen Börsenplätze aus. Am 9- Mai 1873 war der erste so genannte Schwarze Freitag an deutschen Börsen. Insgesamt sank in Deutschland der Kurswert von 444 deutschen Aktiengesellschaften von 4,5 Billionen auf 2,4 Billionen Euro, also um durchschnittlich 46 Prozent. Das Ausmaß der Gründerkrise war erheblich. Von den zwischen 1870 und 1872 gegründeten 107 Aktienbanken waren am Ende des Jahres 1873 nur noch 34 im Geschäft. Der Rest war pleite. Von den zwischen Sommer 1870 und Ende 1874 allein in Preußen gegründeten 857 Aktiengesellschaften befanden sich Ende 1874 bereits 123 Gesellschaften in Liquidation, 37 waren schon in Konkurs gegangen.

Diese Krise von 1873 hatte viele Parallelen zum heutigen Neuen Markt. Auf die Welle von Neugründungen von Aktiengesellschaften und Börsengängen folgte der tiefe Absturz und eine Auslese zwischen den Unternehmen, bei der es auf ihre Überlebensfähigkeit ankam. Nur die besten Unternehmen blieben übrig. Keine der weiteren Krisen in der Börsengeschichte wies solche Ähnlichkeiten mit der heutigen Situation auf.

Als Konsequenz des Crashs beschloss man 1884 zunächst eine Überarbeitung des Aktiengesetzes, um den Kleinsparer vom gefährlichen Bör- senspiel fern zu halten. Man erhöhte zu diesem Zweck den Mindestnennwert der Aktien auf 1 000 Euro. Damit legte man den Grundstein für eine fast 100 Jahre andauernde Aktienabstinenz bei den Normalverdienern. Man wollte den einfachen Bürger und den unteren Mittelstand schützen, gleichzeitig schnitt man sie aber auch vom Wohlstand durch Vermögenswachstum ab. Arbeiten und Sparen hieß jetzt die Devise. Das freute die Banken. Im Herbst 1881 führten Missstände und Unregelmäßigkeiten bei Termingeschäften zur Entwicklung eines allgemein verbindlichen Gesetzeswerks, das die Tätigkeit der Börse regeln sollte. 1896 wurde das erste deutsche Börsengesetz verabschiedet. Was aus heutiger Sicht bemerkenswert erscheint, sind die umfangreichen Anlegerschutzvorschriften.

Auszug aus dem Börsengesetz vom 22. Juni 1896

  • 7

Vom Börsenbesuche sind ausgeschlossen:
Personen weiblichen Geschlechts;
Personen, welche sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden;
Personen, welche in Folge gerichtlicher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind;
Personen, welche wegen betrüglichen Bankerutts rechtskräftig verurtheilt sind;
Personen, welche wegen einfachen Bankerutts rechtskräftig verurtheilt sind;
Personen, welche sich im Zustande der Zahlungsunfähigkeit befinden;
Personen, gegen welche durch rechtskräftige oder für sofort wirksam erklärte ehrengerichtliche Entscheidung auf Ausschließung von dem Besuche einer Börse erkannt ist.

  • 38

Vor der Zulassung ist, sofern es sich nicht um deutsche Reichsoder Staatsanleihen handelt, ein Prospekt zu veröffentlichen, welcher die für die Beurtheilung des Werthes der einzuführenden Papiere wesentlichen Angaben enthält. Das Gleiche gilt für die Konvertirungen und Kapitalserhöhungen. Der Prospekt muss den Betrag, welcher in den Verkehr gebracht, sowie den Betrag, welcher vorläufig vom Verkehr ausgeschlossen werden soll, und die Zeit, für welche dieser Ausschluß erfolgen soll, ersichtlich machen.

  • 39

Die Zulassung von Antheilsscheinen oder staatlich nicht garantifer- ten Obligationen ausländischer Erwerbsgesellschaften ist davon abhängig, dass die Emittenten sich auf die Dauer von fünf Jahren verpflichten, die Bilanz sowie die Gewinn- und Verlustrechnung jährlich nach Feststellung derselben in einer oder mehreren von der Zulassungsstelle zu bestimmenden deutschen Zeitungen zu veröffentlichen.

  • 43

Sind in einem Prospekt, auf Grund dessen Werthpapiere zum Börsenhandel zugelassen sind, Angaben, welche für die Beurteilung des Werthes erheblich sind, unrichtig, so haften diejenigen, welche den Prospekt erlassen haben, sowie diejenigen, von denen der Erlaß des Prospekts ausgeht, wenn sie die Unrichtigkeit gekannt haben oder ohne grobes Verschulden hätten kennen müssen, als Gesammtschuldner jedem Besitzer eines solche Werthpapieres für den Schaden, welcher demselben aus der von den gemachten

Angaben abweichenden Sachlage erwächst. Das Gleiche gilt, wenn der Prospekt in Folge der Fortlassung wesentlicher Thatsachen unvollständig ist und diese Unvollständigkeit auf bösliche Verschweigen oder auf der böslichen Unterlassung einer ausreichenden Prüfung seitens derjenigen, welche den Prospekt erlassen haben, oder derjenigen, von denen der Erlaß des Prospektes ausgeht, beruht. Die Ersatzpflicht wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass der Prospekt die Angaben als von einem Dritten herrührend bezeichnet.

  • 75

Wer in betrügerischer Absicht auf Täuschung berechnete Mittel anwendet, um auf den Börsen- oder Marktpreis von Waaren oder Wertpapieren einzuwirken, wird mit Gefängniß und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Euro bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden …

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, welcher in betrügerischer Absicht wissentlich unrichtige Angaben in Prospekten (§ 38) oder in öffentlichen Kundgebungen macht, durch welche die Zeichnung oder der Ankauf von Werthpapieren herbeigeführt werden soll.

  • 76

Wer für Mittheilungen in der Presse, durch welche auf den Börsenpreis eingewirkt werden soll, Vortheile gewährt verspricht oder sich gewähren oder versprechen lässt, welche in auffälligem Mißverhältniß zu der Leistung stehen, wird mit Gefängniß bis zu einem Jahre und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünftausend Euro bestraft.

Die gleiche Strafe trifft denjenigen, der sich für die Unterlassung von Mittheilungen der bezeichneten Art Vortheile gewähren oder versprechen lässt.

  • 78

Wer gewohnheitsmäßig in gewinnsüchtiger Absicht Andere unter Ausbeutung ihrer Unerfahrenheit oder ihres Leichtsinns zu Börsenspekulationsgeschäften verleitet, welche nicht zu ihrem Gewerbebetriebe gehören, wird mit Gefängniß und zugleich mit Geldstrafe bis zu fünfzehntausend Euro bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.

Bis zum Ausbruch der Ersten Weltkriegs erlebte das Aktienwesen in Deutschland eine neue Blütezeit. Adelige Großgrundbesitzer, aus dem Handwerk erwachsene Industrielle, aber auch das gehobene Bürgertum, Ärzte, Anwälte, Kaufleute und Beamte wussten nicht wohin mit ihrem Geld. Im Jahr 1900 gab es bereits 4500 Aktiengesellschaften und 1909 5222. Ende Juli 1914 wurden die deutschen Börsen geschlossen, aber der Handel mit Wertpapieren an anderen Orten fortgesetzt, bis im Dezember 1917 die Börsen wieder öffnen konnten. In der Nachkriegszeit erfreute sich die Börse auch in breiten Bevölkerungskreisen wieder wachsender Beliebtheit. Kein Wunder, denn die Inflation wurde immer schneller, und mit Aktien konnte zumindest ein Teil des Vermögens vor der Entwertung gerettet werden. Seit einer Änderung im Börsengesetz vom 28. Dezember 1921 durften nun übrigens auch Frauen die Börse besuchen.

Aktienbesitzer haben auch die Inflation 1923 relativ gut überstanden. Sie hatten während der Inflationszeit zwar ein Fünftel ihres Vermögens verloren, aber diejenigen, die ihr Geld in vermeintlich sicheren Staatsanleihen angelegt hatten, verloren praktisch alles. 1924, nach der Einführung der Reichsmark, stabilisierten sich die Aktienkurse wieder und erreichten 1927 während der Zeit der Weimarer Republik ihren Höchststand. In der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 folgte ein kräftiger Absturz, 1931 und 1932 wurden die Notierungen wegen der Bankenkrise zeitweilig ausgesetzt.

Durch den Zweiten Weltkrieg haben natürlich auch die Aktienbesitzer hohe Verluste erlitten, der Grund waren Enteignungen, Demontage oder Zerstörung vieler Betriebe. 1945 hatte sich das Vermögen eines Aktionärs gegenüber 1933 ungefähr halbiert, während diejenigen, die ihr Geld in Anleihen angelegt hatten, 86 Prozent verloren hatten. Der Aktionär stand also wieder relativ gut dar.

Und mit der Währungsreform 1948 wurden alle Schuldverschreibungen des Staates wertlos, ebenso das Bargeld; andere Anleihen wurden auf ein Zehntel ihres Wertes gekürzt. Trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis das breite Publikum in Deutschland wieder für Aktien zu begeistern war.

Warum die Deutschen der Börse so lange misstrauten
Schlechte Erfahrungen während der Kaiserzeit, Weltwirtschaftskrise und Angst vor Kriegen waren einige der Gründe, weshalb die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg so lange aktienabstinent waren, obwohl die Fakten eigentlich für Aktien sprachen. Weil im Zweiten Weltkrieg das verloren ging, was bis dahin den Wert eines Unternehmens ausgemacht hatte – Fabriken, Anlagen, Menschen und Märkte — waren in der Nachkriegszeit Aktien in der öffentlichen Meinung risikobeladene Besitzanteile, deren Dividende von anderen Geldanlagemöglichkeiten zum Teil erheblich übertroffen wurden. Die Kursbewegungen waren verhältnismäßig gering und Spekulationen erforderten besondere Kenntnisse und einen hohen finanziellen Einsatz. Außerdem bestand auch bei den Banken und Sparkassen ein elementares Interesse daran, andere Geldanlagen zu fördern, allen voran das Sparbuch. Deshalb legten sie die Hürden für den Aktienkauf und Aktenbesitz auch besonders hoch. Mit den Spareinlagen ließen sich wunderbar die Kredite für die Unternehmen finanzieren. Ein risikoarmes und lukratives Geschäft. Auch die Regierung sah im Sparen das Glück des kleinen Mannes und hatte kaum ein Interesse daran, etwas zu verändern.

Erst als der Bundesbürger (besonders die junge Erbengeneration) das bisher so ungewohnte Risiko einer Geldanlage entdeckte und mehr an Verzinsung als von Sparbüchern und Anleihen wollte, als auch die Wirtschaft die Börse zunehmend als leichte Geldquelle entdeckte, erst da begann in Deutschland so etwas wie Aktienkultur. Nicht die Volksaktie von VW im Jahre 1961 löste den Aktienboom in Deutschland aus, sondern erst die groß angelegte Werbekampagne für die Deutsche Telekom im November 1996, also 35 Jahre später.

Privatkunde als Anleger werden

Was interessiert uns der kleine Mann, war lange die Devise. Das große Geld sollten Fusionen, das so genannte Investmentbanking bringen. Alle Banken der Welt, ob groß, ob klein, waren auf Globalisierungskurs und damit auf den Spuren der Wirtschaft. Die große Welt, das war ihr Feld. Der Kleine hatte (fast) keinen Platz mehr im Kerngeschäft.

Doch jetzt reißen sich wieder alle um den Privatkunden. Die ganz Großen der Finanzbranche stellen sich (zum wiederholten Male) ganz neu auf, von Deutscher bis Commerzbank. Es gibt nur noch zwei Säulen: Firmen und – man wird’s nicht glauben – Privatkunden. Die sind keine Peanuts mehr, die sollen’s jetzt bringen, wenn den bisherigen Paradepferden (Investmentbank, Merger & Acquisitions) die Puste ausgeht.

Die Deutsche Bank will den Bereich Retailbanking, auf Deutsch Mengenkundengeschäft, ausbauen. Die Zahl der Privatkunden soll bei der Tochter Deutsche Bank 24 von heute 10,5 Millionen bis 2004 auf mindestens 13,5 Millionen steigen. Finanzdienstleistungen sind das große Geschäft. Die verschiedenen Dienstleistungen und Produkte geschickt miteinander zu vernetzen, aus einer Hand dem Kunden zu präsentieren (und zu verkaufen) – das ist die neue Masche.

Von der Lebensversicherung über die Altersvorsorge bis zur Planung der Erbschaft: Connectivity, sagt der Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer dazu, also die Produktbereiche einer Bank oder eines Finanzdienstleisters mit dem Vertrieb so zu verkuppeln, dass alles eins ist. Das soll dem Kunden jetzt als großartiger Fortschritt verkauft werden.

Früher haben die Kunden klaglos und stets respektvoll alles hingenommen, was ihnen von der Geldwirtschaft so zugemutet wurde. Ein Prozent vom Kurswert mussten sie zahlen, wenn sie Aktien kaufen oder verkaufen wollten. Beratung? Bewahre, eher noch kleine Zusatzabzockereien. Wer sagte denn, dass die Bank innerhalb ihrer Organisation die Geschäfte sofort und zu einem für den Kunden günstigen Kurs ausführen sollte? Limits setzen bei Aktiengeschäften – unbekannt!

Man staunt, was alles möglich wird, wenn Bankbeamte“ endlich auf- wachen. So schaffte die Dresdner Bank 1999 im Privatkundengeschäft eine Vor-Steuer-Rendite von 10 Prozent. Das war schon was. Im Jahr 2000 lag sie bereits bei fast 20 Prozent. Und im Jahr 2003 wird sie 30 Prozent verdienen. Dafür soll die Zahl der Geschäftsstellen um 300 auf 850 reduziert werden, wobei 10 Prozent der bestehenden 50 000 Arbeitsplätze wegfallen. Bei der Dresdner darf sich der Kunde dann selbst aussuchen, welche Dienstleistung er wünscht, ob er sich mit den billigeren Leistungen für die weniger vermögenden Kunden zufrieden gibt oder ob er mehr Service will – der dann auch mehr kostet. Bei den Blauen (Deutsche Bank) läuft es ähnlich.

Die Analysten der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter (MSDW) haben den Markt der Privatkunden detailliert analysiert. Fazit: Das Geschäft mit den vermögenden Privatkunden wird durch die Aktienmärkte und die wachsende Zahl der Erben immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und es ist lukrativ.

An der Spitze die Schweizer Bank Crédit Suisse. Sie erwirtschaftet einen Gewinn vor Steuern von 0,75 Prozent des verwalteten Vermögens. Das heißt, von jeder Million, die man in die Hände der Bank gibt, damit sie daraus ein bisschen mehr macht, bleiben 7500 Euro bei ihr als Gewinn hängen. Entweder sind die Schweizer besonders tüchtig oder sie haben sich besonders gut und wirtschaftlich organisiert. Wahrscheinlich beides. Die Deutsche Bank bringt es nur auf 0,36 Prozent. Aber sie will bis 2004 weltweit unter die Top 3 gelangen, ein begehrter Platz, um den sich auch J. P. Morgan Chase, Merrill Lynch und die City Group bemühen.

Die großen Gewinne machen alle, ob Sparkasse, Volksbanken oder Privatbanken, nicht bei Giro- oder Sparkonten, obwohl diese die eigentliche Masse des Geschäfts darstellen. Interessant wird es erst bei den Wohlhabenden. Wer bei der Deutschen Bank nur 50 000 Euro mitbringt, muss jährlich 1 Prozent vom Vermögen als Basispreis zahlen, wenn er eine Beratung haben will, und er zahlt auch für so genannte Strategiegespräche, Finanzanalysen und Depotverwaltung. Billiger wird der Service für den, der schon mehr hat, bevor er sich mit der Bank einlässt. Ab

100 000 Euro liegen die Gebühren nur noch bei 0,2 Prozent, die Provisionen für Wertpapiergeschäfte fallen zusätzlich an – zwischen 0,1 und 0,3 Prozent, je nach Auftragshöhe. Obwohl es in der Bankenbranche keine allgemein gültigen Abgrenzungen gibt, sieht es so aus, dass man Anlagebeträge zwischen 25 000 und 250 000 Euro dem so genannten Massengeschäft mit Wohlhabenden zuschlägt. Die eigentlich Reichen beginnen für viele Banken erst bei einer Mindestanlage von 250 000 Euro.

Wer mindestens 750 000 Euro zur Bank trägt, gehört zu den vermögenden Privatkunden (High Net Worth Individuals HNWI). Sehr vermögend (Ultra High Net Worth Individuals UHNWI) sind Private mit einem Geldvermögen von mindestens 30 Millionen Euro, so eine Studie von Merrill Lynch und der Beratungsgesellschaft Cap Gemini Ernst & Young. Diesen Gruppen lässt man dann nicht nur eine Beratung angedeihen, sondern stellt ihnen auch ein spezielles Wealth Management (so was gibt’s!) zur Seite. Umfang und Beratung sind nach oben offen, die zu kassierenden Honorare ebenfalls, aber bei einigen Banken gelten rund 18 000 Euro für Gebühren als unterer Richtwert. Das wissen besonders die Privatbanken zu schätzen, die sich zum Teil schon seit ein paar hundert Jahren um die wirklich Reichen kümmern.

Besonders gern gesehen sind Unternehmerfamilien, die nicht nur das Unternehmens-, sondern auch das private Vermögen verwalten lassen und die sich mit Nachfolgeregelungen und Erbschaftsfragen hemmzuschlagen haben, an denen ganze Scharen von Beratern verdienen. Aber durch die lange Phase der wirtschaftlichen Stabilität sind die Privatvermögen auch in Deutschland stark gewachsen. Nicht mitgewachsen ist die Dienstleistungsbereitschaft der Banken. Deshalb ist das Geschäft mit den Privatkunden zurzeit noch unterentwickelt.

Um diesen Mangel zu beheben, hat die Deutsche Bank schon 1999 den Studiengang zum Financial Consultant in Zusammenarbeit mit der Ruhruniversität Bochum eingerichtet. Normale Bankangestellte, die zwar befähigt sind, aber nicht immer über viel Wissen und Fingerspitzengefühl verfügen, werden zu hoch qualifizierten Generalisten trainiert. Nicht nur durch Fachwissen, sondern auch durch eine ordentliche Portion Psychologie. Die wird gebraucht, um den Privatkunden über die Hürden der Gebühren zu helfen und ihnen die Produkte des Hauses schmackhaft zu machen. Egal, zu welchem Geldtyp Sie zählen: Sie sollten immer selbst nachrechnen, was versprochen wird, nachfragen, bis Sie verstehen, worum es geht, und nicht nur aufs Ergebnis starren. Ganz wichtig auch: das Klein gedruckte lesen. Wer sich dann die Zeit nimmt, um auch noch bei der Konkurrenz der Bank seines Vertrauens vorbeizuschauen, wird manche Entscheidung vielleicht doch noch einmal überdenken.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser
Wer sich nicht selbst um die Anlage seines Vermögens kümmern kann oder will, musste in der Vergangenheit viel Vertrauen mitbringen und war vor bösen Überraschungen nie ganz gefeit. Jede Aktion der Banken kostet Geld, und je schneller und heftiger die Vermögensverwalter die Anlagen umschichteten, desto größer wurden die Gebühreneinnahmen, bis von manchen Vermögen überhaupt nichts mehr übrig blieb. Ein Finanzdienstleister (Firstfive Deutschland AG) hat die Marktlücke entdeckt, indem er vermögenden Privatkunden und professionellen Vermögensverwaltern einen Portfoliovergleich anbietet. Damit kann ein Anleger die Leistungen seiner Bank mit denen der Konkurrenz vergleichen. Kein Herrschaftswissen mehr, Einblicke in die Strategien der ganz Großen nehmen – prima. Bislang streng gehütete Geschäftsgeheimnisse werden nachvollziehbar: wann und zu welchem Preis wie viele Aktien eines Unternehmens für das jeweilige Kundenportfolio gekauft worden sind – oder auch nicht. Um die Dienste in Anspruch nehmen zu können, muss man ein Mindestdepotvolumen von einer Million Euro verwalten lassen und Firstfive für die < Informationen 2300 Euro pro Jahr zahlen.

Ein halbes Jahr nach dem Start im Jahre 2000 konnten die Hessen bereits die Bewegung von 120 Depots verfolgen, die immerhin ein Vermögensvolumen von min. 500 Millionen Euro repräsentierten. Natürlich nur ein winziger Ausschnitt der gesamten Anlagesumme der Deutschen. Aber als Firstfive im Dezember 2000 zum ersten Mal die Ergebnisse der Untersuchungen präsentierte, zeigte sich überraschenderweise, dass unabhängige Institute besser abschnitten als große, prominente Adressen. Die Vermögensverwaltung Franzen & Gerber schaffte innerhalb von zwölf Monaten eine positive Wertentwicklung von 38,3 Prozent, die Schweizer Rothschild Bank von 32 Prozent und eine kleine Raiffeisen-Volksbank in der Rhön immerhin 24,9 Prozent. Wer sein Geld allerdings an der falschen Stelle deponiert hatte, musste auch mit einem Minus von 20 Prozent leben. Um allerdings zum Beispiel mit der Raiffeisen-Volksbank Rhön-Grabfeld ins Geschält zu kommen und die Rendite von fast 25 Prozent kassieren zu können, muss man mindestens 250 000 Euro mitbringen. Die Rendite in Höhe von fast 62 500 Euro jährlich ist kein Pappenstiel. Ob Privatleute, die nebenher ihr Vermögen selbst verwalten, auch auf solche Zahlen kommen?

Börse für Anfänger – Börsenkontroll, Regeln usw.

Der zahnlose Tiger, genannt Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel (BAWe), hat schon wieder zugebissen. Um die Transparenz für die Anleger zu verbessern, sollten die Mitglieder von Geschäftsführungs und Aufsichtsorganen börsennotierter Gesellschaften künftig ihre Aktienverkäufe offen legen, so BAWe-Präsident Georg Wittich. Und fast flehend: Dies sollte auf gesetzlicher Grundlage verpflichtend- geschehen. Dem Aufruf mit dem doppelten Konjunktiv fehlt irgendwie der rechte Biss.

Die Börsenkontrollettis
Die Marktaufsicht ist leider völlig zersplittert. Jede der sieben Wertpapierbörsen in Deutschland wird von drei verschiedenen Institutionen überwacht. Das sind das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel, das sich um alle kümmert, die Börsenaufsicht auf Landesebene und die Handelsüberwachungsstelle der jeweiligen Börse als Selbstkontrolle.

Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel BAWe mit Sitz in Frankfurt wurde 1995 gegründet. Heute hat es 140 Mitarbeiter (die entsprechende Börsenaufsicht in den USA beschäftigt 3 000 Personen), die sich im Schwerpunkt um den Schutz des Anlegers vor Insiderhandel, die Verfolgung von Insiderhandel, die Bekanntgabe von kursrelevanten Meldungen börsennotierter Unternehmen und die Überwachung der internen Organisationspflichten der Wertpapierdienstleister kümmern sollen. Man muss also vielen Tausenden von Beteiligten scharf auf die Finger schauen. Schon rein statistisch kann die Trefferquote unter diesen Bedingungen nur klein ausfallen. Wie soll es da erst in der Praxis sein?

Im Jahr 2000 hat das BAWe 51 Insideruntersuchungen neu aufgenommen, 24 davon wurden eingestellt und 22 an Staatsanwaltschaften abgegeben. Am Jahresende waren inklusive der noch laufenden Untersuchungen aus den Vorjahren insgesamt 50 Untersuchungen offen. Die Staatsanwaltschaften haben in diesem Zeitraum von den gesamten Insiderverfahren 40 abgeschlossen, 37 davon wurden eingestellt, nur in zwei Fällen gab es rechtskräftige Strafbefehle und in einem Fall rechtskräftige Verurteilungen. Weiter gab es zu Beginn des Jahres 2000 beim BAWe insgesamt 218 anhängige Bußgeldverfahren, dann kamen im Laufe des Jahres noch 252 neue hinzu. Innerhalb dieser Zeit wurden 271 Verfahren abgeschlossen. Davon wurden 189 eingestellt und in 81 Fällen Bußgeld verhängt. Ein Fall wurde an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Zum Jahresende 2000 blieben dann noch 199 Bußgeldverfahren offen.

Außerdem musste sich das BAWe im Jahr 2000 mit 5693 Ad-hoc-Meldungen beschäftigen. Der Aufgabenberg wird also immer größer. Die beiden anderen Aufsichtseinrichtungen sind personell natürlich deutlich knapper ausgestattet, da sie ja nur regional begrenzte Aufgaben haben. In Frankfurt sind es jeweils rund 20 Mitarbeiter, die für Transparenz, Sicherstellung eines fairen Handels, ordnungsgemäße Abwicklung abgeschlossener Geschäfte und eine ordnungsgemäße Kursfeststellung und Preisbildung beim Börsenhandel zu sorgen haben.

Das hört sich zwar gut an, aber das, was in den USA und vor allem Großbritannien hart geregelt und streng geahndet wird, ist bei uns ein lasches privatrechtliches Regelwerk der Aktiengesellschaft Deutsche Börse AG. Zwar wurde es zum Jahreswechsel wegen diverser Ereignisse in den drei Jahren Existenz des deutschen Neuen Marktes geändert und zum 1. März 2001 nochmals erweitert, aber absolut halbherzig.

Gut, es gibt anders als bei der Nasdaq in New York die Haltefrist (lock-up) der Altaktionäre: Nach dem Börsengang (Initial Public Offering = IPO) muss sechs Monate gewartet werden, ehe eigene Aktien des Unternehmens verkauft werden dürfen. Die Deutsche Börse richtet für diese Aktien auch eigene Wertpapierkennnummern ein. Jeder vorzeitige Verkauf würde also entdeckt. So weit, so gut. Es gibt auch weiterführende Verpflichtungen (soft lock-up) der Altaktionäre durch die Konsortialbanken: Verkauf nach den sechs Monaten nur mit deren Zustimmung. Aber wie sieht die Realität tatsächlich aus? Wer will, der kann – umgehen und manipulieren. Die dazu passenden Stichworte sind bekannt: Strohmann, Familie, Verpfändung, Leerverkäufe über andere Banken und so weiter. Der Fall EM.TV hat es doch gezeigt: Ohne Zustimmung der WestLB haben die Gebrüder Haffa mal eben 34 Millionen gezogen. Durch Verkäufe eigener Aktien – natürlich vor ihrer (hausgemachten) Krise und dem Verfall der EM.TV-

Papiere. Die WestLB gibt sich beleidigt und der Haffa-Anwalt ganz locker: Man betrete juristisches Neuland. Deshalb rechne er sich für seinen Mandanten gute Karten aus.

Schlechte Karten für Wittichs Behörde! Dass Vorstände und Aufsichtsräte ab 1. März drei Tage nach einem Verkauf eigener Aktien diesen öffentlich machen müssen, reicht nicht. Wie in New York (Nasdaq) muss vorher darüber informiert werden. Damit sich Anleger darauf einstellen und die Lage bewerten können. Alle Personen in führenden Positionen müssen zudem zur Bekanntgabe verpflichtet werden. Zwei Jahre Haltefrist sollten das Minimum sein. Auch gestaffelte Fristen sind denkbar. Bei Unternehmen ohne Gewinn sollten Vorstand und Aufsichtsrat die Papiere so lange im Depot halten, bis ihre Firma in den schwarzen Zahlen ist. Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme den anderen Aktionären gegenüber! Auch sollten den Vorständen Aktiengeschäfte mit eindeutig kurzfristiger Gewinnorientierung untersagt werden. Ein Blick ins britische Unternehmensrecht von 1985 sollte Ihnen die Augen öffnen, Herr Wittich. Auf geht’s: für einen besseren Anlegerschutz und gegen Machenschaften von Haffa und anderen Absahnern! Auf dass der Anwalt bald nicht mehr feixen und frohlocken kann!

Wer unser Geld will, muss uns schützen
In den USA sind Anleger besser geschützt als in Deutschland, sagt auch Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Während in den USA Schadensersatzklagen gegen Aktiengesellschaften fast an der Tagesordnung sind, haben es deutsche Anleger wesentlich schwerer, ihr Recht zu bekommen.

Allein im Jahr 2000 wurden in den USA etwa 200 Unternehmen von Aktionären verklagt. Seit Beginn der neunziger Jahre mussten US-Firmen mehr als 6 Milliarden Dollar an geschädigte Aktionäre zahlen. Dass deutsche Anleger wesentlich weniger Klagen an die Aktiengesellschaften richten, liegt laut Hocker an den unterschiedlichen Rechtssystemen. In den USA sind die Anteilseigner ganz einfach stärker geschützt als bei uns. Zudem gibt es dort Sammelklagen, bei denen sich mehrere Aktionäre zusammenschließen können, um Schadensersatz zu fordern. Das macht das Risiko für den einzelnen Anleger wesentlicher geringer, als wenn er allein die Klage anstrengen würde. Ein weiterer Unterschied ist, dass in den USA der Nachweis der Fahrlässigkeit genügt, um Anleger zu entschädigen. Bei uns muss der Vorsatz bewiesen werden.

Zurzeit ist in Deutschland die direkte Schadensersatzklage durch Aktionäre noch nicht möglich. Hocker hofft, dass dies mit In-Kraft-Treten des vierten Finanzmarktförderungsgesetzes der Fall sein wird, doch das wird frühestens Ende 2002 verabschiedet werden. Heute muss man noch auf das Bürgerliche Gesetzbuch zurückgreifen. Verstöße gegen den § 15 Wertpapierhandelsgesetz bezüglich der Ad- hoc-Mitteilungen sind keine gesetzliche Grundlage für Schadensersatzansprüche der Aktionäre. Es sind lediglich Strafzahlungen für die Unternehmen vorgesehen. Zu den wichtigsten gesetzlichen Grundlagen für Schadensersatzansprüche im deutschen Rechtssystem gehören folgende:

Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz – WpHG)

  • 15 Veröffentlichung und Mitteilung kursbeeinflussender Tatsachen.

(1) Der Emittent von Wertpapieren, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, muss unverzüglich eine neue Tatsache veröffentlichen, die in seinem Tätigkeitsbereich eingetreten und nicht öffentlich bekannt ist, wenn sie wegen der Auswirkungen auf die Vermögens- oder Finanzlage oder auf den allgemeinen Geschäftsverlauf des Emittenten geeignet ist, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere erheblich zu beeinflussen, oder im Fall zugelassener Schuldverschreibungen die Fähigkeit des Emittenten, seinen Verpflichtungen nachzukommen, beeinträchtigen kann.

Für Anlagebetrug sieht der § 264a Strafgesetzbuch vor, dass der Vorsatz nachgewiesen werden muss.

Strafgesetzbuch (STGB)

  • 264a Kapitalanlagebetrug (1) Wer im Zusammenhang mit
  1. dem Vertrieb von Wertpapieren, Bezugsrechten oder von Anteilen, die eine Beteiligung an dem Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, oder
  2. dem Angebot, die Einlage auf solche Anteile zu erhöhen, in Prospekten oder in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand hinsichtlich der für die Entscheidung über den Erwerb oder die Erhöhung erheblichen Umstände gegenüber einem größeren Kreis von Personen unrichtige vorteilhafte Angaben macht oder nachteilige Tatsachen verschweigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn sich die Tat auf Anteile an einem Vermögen bezieht, das ein Unternehmen im eigenen Namen, jedoch für fremde Rechnung verwaltet.

Ebenfalls ist eine Bilanzfälschung als Verstoß gegen den § 400 Aktiengesetz und § 331 Handelsgesetzbuch nur unter Nachweis des Vorsatzes strafbar.

Aktiengesetz

  • 400 Unrichtige Darstellung

(1)     Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer als Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats oder als Abwickler

  1. die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand, in Vorträgen oder Auskünften in der Hauptversammlung unrichtig wiedergibt oder verschleiert, wenn die Tat nicht in § 331 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs mit Strafe bedroht ist, oder
  2. in Aufklärungen oder Nachweisen, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes einem Prüfer der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens zu geben sind, falsche Angaben macht oder die Verhältnisse der Gesellschaft unrichtig wiedergibt oder verschleiert, wenn die Tat nicht in § 331 Abs. 4 des Handelsgesetzbuchs mit Strafe bedroht ist.

(2)     Ebenso wird bestraft, wer als Gründer oder Aktionär in Aufklärungen oder Nachweisen, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes einem Gründungsprüfer oder sonstigen Prüfer zu geben sind, falsche Angaben macht oder erhebliche Umstände verschweigt.

Handelsgesetzbuch

  • 331 Unrichtige Darstellung

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

  1. als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs oder des Aufsichts

rats einer Kapitalgesellschaft die Verhältnisse der Kapitalgesellschaft in der Eröffnungsbilanz, im Jahresabschluss, im Lagebericht oder im Zwischenabschluss nach § 340a Abs. 3 unrichtig wiedergibt oder verschleiert,

  1. als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs oder des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft die Verhältnisse des Konzerns im Konzernabschluss, im Konzernlagebericht oder im Konzernzwischenabschluss nach § 340i Abs. 4 unrichtig wiedergibt oder verschleiert,
  2. als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft zum Zwecke der Befreiung nach § 291 oder einer nach § 292 erlassenen Rechtsverordnung einen Konzernabschluss oder Konzernlagebericht, in dem die Verhältnisse des Konzerns unrichtig wiedergegeben oder verschleiert worden sind, vorsätzlich oder leichtfertig offen legt oder
  3. als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs einer Kapitalgesellschaft oder als Mitglied des vertretungsberechtigten Organs oder als vertretungsberechtigter Gesellschafter eines ihrer Tochtemnternehmen (§ 290 Abs. 1 und 2) in Aufklärungen oder Nachweisen, die nach § 320 einem Abschlussprüfer der Kapitalgesellschaft, eines verbundenen Unternehmens oder des Konzerns zu geben sind, unrichtige Angaben macht oder die Verhältnisse der Kapitalgesellschaft, eines Tochterunternehmens oder des Konzerns unrichtig wiedergibt oder verschleiert.

Ob bei Kursmanipulationen aufgrund von Verletzungen des § 88 Börsengesetz eine Haftung möglich ist, ist unklar.

Börsengesetz (1)

  • 88 Strafvorschrift

Wer zur Einwirkung auf den Börsen- oder Marktpreis von Wertpapieren, Bezugsrechten, ausländischen Zahlungsmitteln, Waren, Anteilen, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen, oder von Derivaten im Sinne des § 2 Abs. 2 des Wertpapierhandelsgesetzes

  1. unrichtige Angaben über Umstände macht, die für die Bewertung der Wertpapiere, Bezugsrechte, ausländischen Zahlungsmittel, Waren, Anteile oder Derivate erheblich sind, oder solche Umstände entgegen bestehenden Rechtsvorschriften verschweigt oder
  2. sonstige auf Täuschung berechnete Mittel anwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wenn die Altaktionäre die Lock-up-Periode nicht einhalten, könnte die Emissionsbank zu Schadenersatzansprüchen berechtigt sein, aber nicht der Anleger.

Bei der Prospekthaftung gemäß § 45 Börsengesetz und dem Verkaufsprospektgesetz ist der Schadensersatzanspruch begrenzt. Außerdem sind die Verjährungsfristen von sechs Monaten sehr kurz. Erforderlich ist der Nachweis unrichtiger oder fehlender wesentlicher Angaben.

Börsengesetz (2)

  • 45 Unrichtiger Börsenprospekt

(1) Der Erwerber von Wertpapieren, die aufgrund eines Prospekts zum Börsenhandel zugelassen sind, in dem für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind, kann

  1. von denjenigen, die für den Prospekt die Verantwortung übernommen haben und
  2. von denjenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht, als Gesamtschuldnern die Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises, soweit dieser den ersten Ausgabepreis der Wertpapiere nicht überschreitet, und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere abgeschlossen wurde. Ist ein Ausgabepreis nicht festgelegt, gilt als Ausgabepreis der erste nach Einführung der Wertpapiere festgestellte oder gebildete Börsenpreis, im Falle gleichzeitiger Feststellung oder Bildung an mehreren inländischen Börsen der höchste erste Börsenpreis.

Vor einer Schadensersatzklage eines Aktionärs als Ausgleich für finanzielle Verluste, die durch unwahre Angaben zur Unternehmensentwicklung entstanden sind, muss zunächst die Sache strafrechtlich untersucht werden, erst dann ist ein zivilrechtlicher Prozess möglich. Bei strafrechtlichen Auseinandersetzungen sind die Erfolgschancen relativ höher als bei zivilrechtlichen.

Paragraph 400 des Aktiengesetzes sieht für die unrichtige Darstellung eines Geschäftsverlaufs eine Strafe von bis zu drei Jahren Gefängnis oder eine Geldbuße vor. Aber nur, wenn der Vorsatz nachgewiesen wurde. Bisher sitzen nur die beiden Vorstände der am Neuen Markt notierten Infomatec AG in Untersuchungshaft. Ihnen wird Anlagebetrug und Kursmanipulation vorgeworfen, weil sie in Ad-hoc-Mitteilungen Großaufträge gemeldet haben, die es aber noch gar nicht gab.

Fahrlässiges Verhalten des Vorstands genügt nicht für eine Verurteilung. Ein zivilrechtliches Urteil hat man bisher ein einziges Mal erreicht. Eine Klage der Deutschen Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre gegen die Refugium AG hatte dazu geführt, das die Bilanzen des Unternehmens für 1997 und 1998 für nichtig erklärt worden waren. Die neu vorgelegten Bilanzen weisen statt eines Gewinns von 8,5 Millionen Euro im Jahr 1997 nun einen Verlust von 21,4 Millionen Euro aus und für 1998 einen Verlust von 43,3 Millionen statt eines erwarteten Gewinns von 10,5 Millionen Euro.

Wenn Anleger auf Schadensersatz klagen, sollten sie sich darüber im Klaren sein, dass das Verfahren vor Gericht sich lange hinzieht, über fünf Jahre oder länger. Die Kosten muss der Anleger zunächst selbst übernehmen, wenn er keine Vermögensrechtsschutzversicherung hat. Als Mitglieder der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) und der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) erhalten die Kleinaktionäre eine kostenlose Rechtsberatung. Und gegebenenfalls initiieren die Aktionärsschützer einen Musterprozess.

Suche nach den einfachen Regeln an der Börse

Seil in May and go away (Im Mai verkaufen und dann weglaufen). Jeder Aktieninteressierte wird diesen Börsenkalenderspruch kennen. Die Idee, dass es an der Börse so genannte Kalendereffekte gibt, also wiederkehrende Kursentwicklungen, die in Abhängigkeit zum Jahresverlauf, aber auch zu Monats- und Wochenrhythmen stehen, ist einfach nicht totzukriegen.

Es tauchen immer wieder Ereignisse auf – und es gibt auch ganz rationale Überlegungen die diese Kalendereffekte zu bestätigen scheinen. Am bekanntesten sind die so genannte Jahresendralley, der Januareffekt und der Montagseffekt.

So soll besonders der Januareffekt darauf beruhen, dass speziell die institutionellen Investoren sich aufgrund der an das Kalenderjahr angepassten Geschäftsjahre in einer bestimmten Art und Weise verhalten. Im Januar, wenn das neue Geschäftsjahr beginnt und das alte abgeschlossen ist, kann man neue Risiken eingehen und kauft deshalb besonders viele Aktien. Also ist der Januar ein Boom-Monat.

Da alle Aktionäre wissen, dass im Januar gut gekauft werden wird, decken sie sich im Rahmen der Jahresendralley im Dezember noch kräftig mit Aktien ein, die sie dann im Januar verkaufen werden, bevor der Kurs Ende Januar wieder fällt. Das hört sich alles zunächst ganz plausibel an, ist es aber nicht, denn wenn alle Kapitalanleger sich in gleicher Weise verhalten, also alle gleichzeitig entweder nur kaufen oder nur verkaufen, lässt das den schönsten Kalendereffekt platzen.

Da aber niemand eine Chance auslassen will, haben die verschiedensten Forschungsinstitute die Kalendereffekte untersucht. Das am besten erforschte Phänomen ist der Januareffekt. Das Ergebnis bestätigt zwar, dass es ihn gibt, aber er ist viel zu klein, um ausgenutzt werden zu können.

Und wie ist es mit der Jahresendralley? 1999 ist sie ganz toll gelaufen. Mitte 2000 bereiteten sich alle drauf vor, und was dann? Sie fiel aus! Und weil das Gedächtnis der Leute so schlecht ist und eher kurzfristig programmiert, darf man damit rechnen, dass niemand eine Jahresendralley für das Jahr 2001 erwartet. Was wird wohl passieren? Sie kommt – oder sie kommt nicht. Je nachdem, wer was prognostiziert: Er wird sich bestätigt fühlen und deshalb auch weiterhin die Botschaft vom Kalendereffekt in die Welt tragen.

Besonders die großen Investoren, bei denen schon im Promillebereich fette Profite eingefahren werden, sind an diesen Effekten interessiert gewesen und haben alles untersuchen lassen. Ihr Ergebnis: Es nützt nichts, diese Überlegungen in die eigene Strategie mit einzubeziehen.

Eine Ausnahme ist eventuell der US-Rentenmarkt, der erstens noch nicht genau erforscht ist, zumindest nicht in Bezug auf den Kalendereffekt, und in dem sich außerdem seit 1994 ein gewisser Rhythmus eingestellt zu haben scheint. Allerdings hat man auch schon eine mögliche Fehlerquote für den Kalendereffekt errechnet. Er liegt beim US-Renten- markt bei 35 Prozent Misserfolg. Ob nun der Erfolg auf anderen Faktoren beruht, ist noch nicht so genau zu sagen.

Jeder Anleger sollte sich vor Augen führen, dass der Kalendereffekt besonders deshalb immer wieder gern als Argument in Empfehlungen einfließt, weil er besonders leicht zu vermitteln und zu planen ist. In einen Kalender gucken kann jeder, und einfache Lösungen sind eben immer noch die beliebtesten, auch wenn sie nicht die effektivsten sind. Der amerikanische Schriftsteller Euro Twain hat das in seinem Ratschlag auf den Punkt gebracht: Für die Börsenspekulation ist der Februar einer der gefährlichsten Monate. Die anderen sind Januar, März, April, Mai, Juni und Juli bis Dezember.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Das so genannte Market-Timing kann man in gewisser Weise als eine Variante des Kalendereffekts betrachten. Market-Timing geht davon aus, dass es besonders günstige Kurstage gibt — und natürlich auch besonders ungünstige. Man braucht vorher nur zu wissen, um welche Tage es sich handelt, um dann durch den Kauf und Verkauf seiner Aktien zusätzliche Gewinne zu erwirtschaften.

Fidelity Investments, das größte unabhängige Fondsmanagementunternehmen der Welt, wollte nun gern wissen, was an diesem Market-Timing dran ist. Dafür startete man eine groß angelegte Studie, die sich die Entwicklung der renommierten Aktienindizes rund um die Welt in den Jahren 1987 bis 2000 vornahm. Die Fragestellung war: Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Anleger die besten Kurstage verpasst hat und stattdessen Aktien kontinuierlich behielt, ohne sie zwischendurch zu verkaufen und dann wieder zurückzukaufen? Die Ergebnisse verblüffen. Bezogen auf den DAX 30 erreichte ein Anleger, wenn er die zehn besten Tage des Jahres verpasst hat, eine jährliche Performance von 10,3 Prozent. Hat er sogar die 40 besten Tage des Jahres verpasst, liegt seine Performance nur noch bei 1,6 Prozent. Der Anleger, der sich gar nicht um diese Tage kümmert und einfach nichts tut, erwirtschaftet allerdings eine Performance von 15,4 Prozent.

Und wie sieht es mit den schlechtesten Kurstagen aus? Wer die 40 schlechtesten Kurstage am DAX 30 umgangen hat, konnte eine jährliche Performance von 33,1 Prozent erzielen. Wer die schlechtesten zehn Tage umging, lag immerhin noch bei 21,5 Prozent. Beide Mal hätte man besser abgeschnitten als bei einer ununterbrochenen Anlage. Aber das sind natürlich alles nur hypothetische Zahlen mit Ausnahme deren, die sich auf eine durchgehende Anlage beziehen. Es käme nämlich darauf an, nicht im Nachhinein festzustellen, welcher Tag gut oder schlecht war, sondern dies bereits vorher zu wissen.

Man müsste also Hellseher sein. Und damit hat es bisher immer noch gehapert, wie sich ebenfalls mit Statistiken beweisen lässt. Es gibt unzählige Experten, die für die Jahre 1994 bis 1998 jeweils das Ende des Booms vorausgesagt haben und jedes Mal falsch lagen. Fidelity Investments untersuchte dann auch noch, wie das jährliche Ergebnis sich darstellen würde, wenn man seine Aktien stets zum höchsten Kurs gekauft hätte, zum günstigsten Kurs oder einfach nur zum 1. Januar.

Für Deutschland mag das Ergebnis für Market-Timing-Spezialisten niederschmetternd sein. Beim Einstieg zum höchsten Kurs betrug die Jahresperformance nur 11,9 Prozent. Wer stets den günstigsten Kurs erwischte, hatte eine Performance von 12,8 Prozent, und wer immer zum 1. Januar kaufte, konnte mit dieser Methode eine Performance von 12,6 Prozent erzielen. Also, was soll’s? Der Unterschied zwischen dem besten und schlechtesten Ergebnis lag gerade mal bei 0,9 Prozent pro Jahr. Es ist zwar klar, dass die besten und schlechtesten Tage sehr eng beieinander liegen und dass die größten Kursschwankungen meist in wenigen aufeinander folgenden Tagen stattfinden. Nur darf man sich eben einfach davon nicht irritieren lassen.

Wenn man seine Aktien nach einer gründlichen Analyse auswählt, also Aktien von gesunden Unternehmen mit realistischen Zukunftsperspektiven kauft, spielt das, was tagtäglich an der Börse geschieht, für den gesamten Jahresverlauf nur noch eine untergeordnete Rolle. Für solide Werte gilt die Kostolany-Regel vom Aktienkaufen und Schlafengehen dann doch noch, nur eben nicht mehr über viele Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg.

Behavioral Finance – die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung

Inzwischen sind nicht nur die Gesellschaftswissenschaftler, sondern auch die Bankmanager zu der Überzeugung gelangt, dass das, was gelegentlich als irrationale Abweichung einzuordnen war, letztlich das Normale und in vieler Hinsicht das wirksamere Element bei Anlageentscheidungen ist: das emotionale und irrationale Verhalten vieler Anleger.

Die Kurse an den Börsen unterliegen eben der kollektiven Psyche der Marktteilnehmer viel stärker, als man es noch vor wenigen Jahren vermutete oder wahrhaben wollte. Deshalb wird das Verhalten der Anleger auch zu einem ständig wachsenden Forschungsgegenstand, und in der Deutschen Bank gibt es sogar schon eine eigene Abteilung für Technical Analysis and Behavioral Finance. In Amerika existieren bereits mehr als 20 Professuren für die verhaltensorientierte Kapitalmarktforschung, und auch in Deutschland wächst die Nachfrage nach solchen Forschungs- und Beratungsleistungen. Professor Rüdiger von Nitzsch an der RW TH Aachen gilt als einer der profiliertesten Vertreter dieser Forschungsrichtung in Deutschland.

Nach seiner Meinung ist zwar jeder Investor anders, aber alle, ob Profi oder Privatanleger, machen die gleichen Fehler. Zu diesen typischen Fehlern gehört, dass Verluste zu spät und Gewinne zu früh in tatsächliches Handeln umgesetzt werden. Bei den Verlusten spielt die Hoffnung eine Rolle, dass sich der Trend doch noch umkehren möge, ohne dass man selbst aktiv wird, und bei den Gewinnen ist man bereit, lieber den Spatz in der Hand mitzunehmen als auf die Taube auf dem Dach zu warten. Ein besonderes Problem ist, dass Verluste emotional viel schwerer wiegen als Gewinne. Die meisten Anleger, ob Profis oder Privatleute, überschätzen ihre

Fähigkeit, Kurse zu prognostizieren. Dabei sind die Profis sogar noch schlimmer dran als die Privatinvestoren.

Weil jeder Profi auf die gleichen professionellen Informationen zurückgreift wie alle anderen Profis auch, kommen sie alle auch in ihren Entscheidungen zu den gleichen Ergebnissen, zu den gleich falschen, kann man sogar sagen. Die Trefferquote der Vorhersagen professioneller Anleger liegt nach verschiedenen Studien so ungefähr bei 40 Prozent. Privatanleger, denen nicht so viele Informationen zur Verfügung stehen und die emotional an die Sache herangehen, haben eine Trefferquote von etwas über 50 Prozent. Gleich gute Ergebnisse lassen sich auch durch das Werfen einer Münze erreichen.

Aber da man seinen eigenen Fähigkeiten ja viel zutraut, ist man auch bereit, Risiken einzugehen, die in Wirklichkeit kaum zu kalkulieren sind. Außerdem neigt der Mensch dazu, seine eigenen Entscheidungen und Meinungen zu rechtfertigen und sie im Zweifelsfall auch schönzureden.

Erschwerend kommt hinzu, dass man, wenn man einmal eine Meinung gefasst hat, auch nur nach Informationen Ausschau hält, die genau diese Meinung bestätigen und untermauern, gegensätzliche Informationen jedoch ignoriert. Im Ergebnis sieht es dann oft so aus, dass die Verlierer sagen: Meine Prognose war richtig, nur der Markt hat sich falsch verhalten.

In diesem Zusammenhang weist Nitzsch auch darauf hin, dass die Mehrzahl der Menschen viel zu verliebt in die eigenen Entscheidungen ist, um diese aufzugeben, selbst wenn sie sich als falsch erwiesen haben. Man bleibt dabei und basta! Verluste nimmt man trotzig in Kauf und frägt sie stolz, wie Studenten der schlagenden Verbindungen in der Vergangenheit ihre Narben zur Schau trugen.

Ebenfalls eine menschliche Eigenschaft scheint es zu sein, dass man nach Verlustphasen ängstlich reagiert und vor lauter Vorsicht selbst offensichtliche Gewinnchancen in den Wind schlägt, während man nach einigen Gewinnen sofort übermütig wird, über die Stränge schlägt und noch größere Risiken eingeht, bis das Gewonnene wieder zerronnen ist.

Nach verschiedenen Untersuchungen schaffen es tatsächlich nur 5 Prozent der Investoren, auf Dauer besser abzuschneiden als die normale Marktentwicklung.

In den USA ist man zu der Erkenntnis gelangt, dass dort die durchschnittlichen Anleger ihre Aktien viel zu häufig kaufen und verkaufen. Der typische amerikanische Anleger schichtet sein Portfolio pro Jahr zu 70 Prozent um. Kostolany und seine Schlaftabletten sind dort bis heute wohl unbekannt geblieben. Es ist eigentlich erstaunlich, dass Verluste viel mehr schmerzen, als Gewinne glücklich machen. Um die Verluste nicht sichtbar werden zu lassen, behält man eben einfach die Verliereraktien und verkauft die Gewinner mit kleinem Profit.

Und was macht man dann mit dem Geld? Man kauft erneut Aktien, bloß, wie die Statistiken zeigen, bringen die im Schnitt noch 6 Prozent weniger als die, die man verkauft hat, um die neuen kaufen zu können. Wohin geht dabei der Trend? Ganz klar nach unten! Die Portfolios der Anleger füllen sich mit Verliereraktien, aber irgendwo müssen natürlich auch die Gewinner bleiben. Und wo? Bei den Leuten, die mit kühlem Sachverstand und möglichst noch einer Checkliste an die Aktien heran- gehen.

Wie heißt es doch so schön unter den Börsianern: Hin und her macht Taschen leer. Ob long, ob short, das Geld ist fort! Auch dieser Spruch hat sich in der Praxis bestätigt. Frauen sind für dieses Hin und Her nicht so anfällig wie Männer und erst recht nicht so anfällig wie männliche Singles, die zu 67 Prozent häufiger ihre Aktien kaufen und verkaufen als die weiblichen Pendants.

Besonders riskant ist es, die Aktiengeschäffe übers Internet abzuwickeln, denn das animiert geradezu zum schnellen Kaufen und Verkaufen. Vergleicht man Onlinedepots mit traditionell geführten Aktiendepots, dann lässt sich sehr schnell beweisen, dass die Umschlaghäufigkeit im Internet auf bis zu 120 Prozent pro Jahr steigen kann. Dazu trägt nicht zuletzt auch die Informationsflut bei, die uns per Internet ins Haus kommt.

Die meisten Menschen glauben, je mehr Informationen sie hätten, desto besser wären sie in der Lage, Voraussagen zu treffen. Das ist jedoch nicht der Fall. Die meisten Informationen vernebeln nur das Gehirn. Die Börse funktioniert eben nur zu einem kleinen Teil aufgrund von Informationen und zu einem großen Teil aufgrund von Gefühlen.

Auch Rüdiger von Nitzsch hat fünf verschiedene Anlegertypen definiert und zudem entsprechende Tests entwickelt, mit denen jeder Anleger feststellen kann, zu welcher Kategorie er gehört. Ziel dieses Tests ist es aber nicht, nur die Selbsterkenntnis zu fördern, sondern auch die typbezogenen Fehler zu vermeiden und nach Möglichkeit sein Verhalten sogar zu ändern.

Der erste Typ ist der Einstandspreisorientierte. Er weiß immer genau, zu welchem Preis er eine bestimmte Aktie gekauft hat, und sein Ziel ist es, mit jeder Aktie Gewinn zu machen. Mit dieser Methode verliert er natürlich die Risikostreuung aus dem Auge und ist blind für die Erkenntnis, dass fast 50 Prozent aller Geschäfte nicht von Erfolg gekrönt werden.

Eine besonders originelle Idee ist die häufig gegebene Empfehlung, dass man weitere Aktien des gleichen Unternehmens kaufen sollte, wenn der Aktienkurs unter den gezahlten Einstandspreis fällt. So würde man rein statistisch die Verluste pro Aktie minimieren, da man ja die sinkenden Preise mit den höheren verrechnen könne. In der Konsequenz bedeutet dieser Ratschlag, der wirklich gar nicht so selten ist und in der Literatur immer wieder auftaucht, dass man bei fallenden Kursen immer mehr Verlustaktien kaufen soll, bis zum Schluss das ganze Portfolio nur noch aus Verlustbringern besteht, die nichts mehr wert sind. Aber wenigstens sind sie alle gleichmäßig nichts mehr wert.

Rüdiger von Nitzsch gibt den einstandspreisorientierten Anlegern den Tipp, sich immer wieder daran zu erinnern, dass es nicht wichtig ist, zu welchem Kurs man eine Aktie gekauft hat, sondern nur, welche Zukunftsaussichten sie hat.

Der nächste Anlegertyp ist derjenige, der vorschnell handelt. Er ist mit den Informationen zufrieden, die ihm gerade zur Hand sind, und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidungen. Der Tipp für diesen Anleger lautet: Auch wenn etwas sehr plausibel ist, muss es noch lange nicht stimmen. Diesem Typ sehr ähnlich sind die Anleger, die an ihren Entscheidungen hängen und sich nicht eingestehen mögen, etwas falsch gemacht zu haben.

Hier lautet ein weiterer Tipp: Wer keine Fehler zugeben kann, macht damit zwei neue. Erstens verpasst er die Chance, aus der Vergangenheit zu lernen, und zweitens läuft er Gefahr, dass auch die zukünftigen Entscheidungen ebenso unvernünftig ausfallen wie die vergangenen. Es geht nicht darum, die eigene Vergangenheit schönzureden, sondern für die Zukunft tragfähige Grundlagen zu schaffen.

Der zu vorsichtige Anleger möchte jedes Risiko vermeiden und alles unter Kontrolle haben. Deshalb verpasst er viele Chancen. Hier ist der Tipp: Wenn man nur deshalb so vorsichtig ist, weil man glaubt, zu wenig über die Börse zu wissen, dann sollte man sich auf den Hosenboden setzen und dazulernen.

Der unvorsichtige Anlegertyp neigt dazu, seine Fähigkeiten zu überschätzen und deshalb waghalsig zu agieren. Er setzt viel zu viel auf eine Karte, konzentriert sich auf nur wenige Unternehmen und versucht so, schnell reich zu werden. Wenn er es tatsächlich wird, hat das mehr mit Glück als mit Können zu tun.

Der Tipp für diesen Anleger lautet: Sich bewusst machen, dass es immer, wenn man eine Aktie zu einem bestimmten Preis kaufen möchte, auch jemanden geben muss, der diese Aktie für diesen Preis verkauft. Man sollte deshalb immer genau überlegen, ob man selbst wirklich über so viel bessere Informationen verfügt als derjenige, der zum Verkauf dieser Aktie bereit ist.

Börse für Anfänger – Optimisten auf der Sonnenseite der Börse

Peter Lynch (Jahrgang 1944) gilt als einer der erfolgreichsten amerikanischen Fondsmanager aller Zeiten. Nach seinem Studium an der Wharton School of Finance und seinem Abschluss als Master of Business Administration (MBA) 1968 absolvierte er zunächst seinen Militärdienst und ging dann als Analyst zu Fidelity.

Peter Lynch managte von 1977 bis 1990 den Fidelity Magellan Fonds, und er machte ihn zum weltweit größten Aktienfonds. Rund eine Million Aktionäre haben in diesen Fonds investiert. Und wer 1977 bei ihm 10 000 Dollar angelegt hatte, besaß 1990 satte 280 000 Dollar.

Lynch hörte 1990 im Alter von 46 Jahren auf, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Er legt heute für 16 Wohltätigkeitsorganisationen deren Geld an, und zwar ehrenamtlich. Lynch geht nach der so genannten Eyes- and-Ears-Investing-Methode vor (Investieren mit Augen und Ohren). Anders ausgedrückt, er setzt auf den gesunden Menschenverstand.

Seine Erfolgstipps: Kaufen Sie nur Aktien von Wachstumsunternehmen. Kaufen Sie nur Aktien von Unternehmen, die Sie kennen. Man muss eigenverantwortlich investieren, das heißt Entscheidungen nicht delegieren, den Aktienhandel verstehen und das Unternehmen, dessen Aktien man gekauft hat, im Auge behalten. Langfristig bringen kleinere Werte mehr Gewinn als Aktien großer Unternehmen.

Heiko Thieme (Jahrgang 1943) ist Deutschlands bekanntester Börsenexperte an der Wall Street. Nach seinem Jurastudium in Tübingen, Hamburg, Schottland und den USA begann er seine Börsenkarriere bei einer britischen Brokerfirma in Edinburgh und London. 1976 wechselte er in London zur amerikanischen Investmentbank White Weid und ging dann 1979 für die Deutsche Bank Capital Corporation nach New York. Dort war er verantwortlich für den US-Aktienmarkt.

1990 machte sich Thieme als Fondsmanager selbstständig, er gründete die Thieme Associates. Dann übernahm er das Management des American Heritage Fund und wurde Vorsitzender der American Heritage Management Corporation. Inzwischen hat Thieme noch einige andere Fondsgesellschaften gegründet. Er managt derzeit unter anderem drei Fonds: den Thieme Fonds International, den American Heritage Fund, den American Heritage Growth Fund sowie einen Offshore-Hedge-Fund. Daneben betreute er Depots vermögender Privatkunden.

Thieme schreibt gern und viel. Seine Veröffentlichungen erscheinen unter anderem in einer wöchentlichen ZvlZ-Kolumne, in Tageszeitungen und der Wirtschaftspresse. Außerdem tritt er oft im Fernsehen auf, sowohl in den USA als auch in Europa. Ein gesunder Börsenoptimismus ist für Heiko Thieme wichtig.

Und er bezeichnet sich selbst als sehr konservativ. Mit 95 Prozent meiner Prognosen liege ich schief, weil ich zu konservativ bin, hat Thieme einmal gesagt.

Seine Tipps für den Privatanleger sind unter anderem: Kaufen Sie nur dann Aktien, wenn Sie das Geld zur freien Verfügung haben, denn sie sollten diese dann mindestens zwei oder besser vier Jahre halten. In Ihrem Depot sollten 45 Prozent deutsche Aktien sein, 15 Prozent aus dem restlichen Europa, 25 Prozent aus den USA, 10 Prozent aus Asien und 5 Prozent aus dem Rest der Welt. Kaufen Sie die Aktie, die sie ausgewählt haben, bei allgemein schlechter Börsensituation, aber zunächst nur für etwa ein Viertel des Geldes, das Sie anlegen wollen. Fällt die Aktie um 5 bis 10 Prozent, kaufen Sie wieder 25 Prozent nach, bis alles Geld angelegt ist. Sollte der Kurs weiter fallen, hilft nur noch beten. Die Börse verhält sich meist absolut marktunüblich.

Trauern Sie Verlusten nicht nach, denn es gibt so viele Chancen, sie wollen nur entdeckt werden. Kaufen Sie nie eine Aktie, die Ihnen Ihr Freund, Nachbar oder sonst irgendjemand empfiehlt. Kaufen Sie nur Aktien von Unternehmen, die Sie kennen und verstehen. Wenn Sie keine Zeit haben, sich darüber zu informieren, fragen Sie lieber den Bankberater, als heißen Tipps zu folgen.

Ralph Acampora (Jahrgang 1942), Direktor der technischen Analyse bei der Investmentbank Prudential Securities, gilt als einer der treffsichersten charttechnisch orientierten Analysten der Welt. In seinen mehr als 30 Jahren Berufstätigkeit hat er mehrfach die Aktienwelt mit seinen Voraussagen überrascht, die immer wieder verlässlich eingetroffen waren. So Prophe-Fund, Julius Bär Special German Stock und Nestor Fonds Neue Märkte. Ochner hat als Erster das Potenzial des Neuen Marktes entdeckt und 50 Prozent der richtigen Neuer-Markt-Aktien ins Portfolio genommen, was einen Großteil seines Erfolgs ausgemacht hat. Zweimal war er bester Fondsmanager: 1991 kürte ihn die Zeitschrift Capital, 1998 Finanzen zum Manager des Jahres.

Ochner richtet sich hauptsächlich nach der fundamentalen Analyse. Er berücksichtigt er vor allem die Bilanz, die Gewinn-und-Verlust-Rechnung und die Unternehmensprognosen. Sein Ziel ist es, wachstumsstarke Unternehmen aufzuspüren. Es geht ihm darum, besser informiert zu sein als andere. Dazu führt er im Jahr rund 400 Gespräche mit den Managern der Unternehmen. Entscheidend für die Auswahl der Aktien ist seine Einschätzung der Marktposition, des technologischen Vorsprungs der Firmen und der Qualität der Vorstände. Nur wenn die Unternehmensstrategie überzeugt, kauft er.

Kurt Ochners Team besteht aus 30 Mitarbeitern, davon elf Fondsmanagern, die die tägliche Betreuung der Fonds übernehmen. Aber die Verantwortung für alles trägt allein Ochner, und er ist stets über alles informiert.

Ochner arbeitet bis zu 80 Stunden in der Woche. Als Fallschirmjäger- Offizier lernte er, schnelle Entscheidungen zu treffen und extremen Stress zu bewältigen. Ihm genügen vier Stunden Schlaf. Sein Tagesablauf ist voll durchorganisiert. Auf seinem zweistündigen Arbeitsweg wertet er die wichtigsten Tages- und Wirtschaftszeitungen aus und informiert sich, wie sich die Zinsen- und Rohstoffpreise entwickeln oder wie stabil der Euro ist. Ab und zu gönnt er sich etwas Besonderes. So hat er sich nach einem guten Geschäft mit Porsche-Aktien ein 911er-Cabriolet gekauft.

Pessimisten kann kein Crash überraschen
Wir leben in einem permanenten Crash. Das ist die zentrale These von Roland Leuschel (Jahrgang 1937), der als Börsenguru gilt, seitdem er den Kurssturz im Oktober 1987 prophezeite. Er war Chefstratege der Banque Bruxelles Lambert und lebt jetzt an der Algarve. Das Börsengeschehen analysiert er weiterhin und schreibt für das Wallstreet Journal oder Börse Online. Daneben hält er Vorträge, die mit bis zu 2500 Teilnehmern gut besucht sind.

Einer seiner Lieblingswitze steht in direktem Widerspruch zu Leuschels Tätigkeit: Was passiert, wenn der Weihnachtsmann, ein guter und ein

schlechter Guru gleichzeitig einen 10-Euro-Schein finden? – Der schlechte hebt den 10-Euro-Schein auf – denn die beiden anderen gibt es nicht.

Scharf kritisiert er den US-Notenbankchef Greenspan: Dem Notenbankchef ist die Kontrolle entglitten – rüsten Sie sich für den Crash. In Börse Online riet der Crashprophet Anfang Juli 1999: Der Investor hat jeden Grund, sein Wertpapiervermögen zu streuen, derzeit Aktien eher unter- und Liquidität überzugewichten. Damit wird er vielleicht nicht zu den Gewinnern gehören, aber auf keinen Fall zu den Verlierern.

Kapital ist scheu wie ein Reh, sagte er, als die Quellensteuer in Deutschland eingeführt wurde, die Milliarden von Geldern aus dem Land vertrieb. Den Markt hält er für die wahre Opposition der Regierung.

Leuschels eigenes antizyklisches Investment ist sein Weinkeller. Die 1 500 Flaschen besten Rotweins bescherte ihm 1974 der Ölschock. Der Wein, den sich japanische Kunden eines Weinlieferanten nicht mehr leisten konnten, wurde nach Antwerpen zurückgeschickt und landete auf einer Auktion. Leuschel ersteigerte die Flaschen zu 2 Euro je Stück. Kurs heute: 750 Euro pro Flasche. Zu einem Weinkeller rät er auch seinen Klienten für den Fall eines Crashs. Dazu ein Gewehr und einen Schäferhund.

Marc Faber gehört ebenfalls zu den Crash-Gurus. Er warnte vor dem Kursrutsch an der Wall Street 1987 und prophezeite frühzeitig die Asien- Krise. Der Investmentbanker lebt seit 1973 in Hongkong, wo er eine eigene Investmentfirma führt. Seine pessimistischen Vorhersagen haben ihm den Spitznamen Doctor Doom (Doktor Verhängnis) eingebracht. Aber nicht alles sieht er negativ. Die asiatischen Märkte haben für ihn noch einen langen Anstieg vor sich, und das Potenzial Chinas wird aus seiner Sicht noch stark unterschätzt.

Dr. Edward Yardeni ist der Chefökonom der deutschen Morgan Green- fell, eines Tochterunternehmens der Deutschen Bank in New York. Besonders stolz ist er offensichtlich auf seinen Doktortitel. Wir gönnen es ihm, denn er ist wirklich gut. Schließlich schreibt er monatlich Kolumnen für Zeitschriften rund um die Welt und trat mit seinen Erkenntnissen auch schon in vielen Radio- und Fernsehsendungen auf. Yardeni macht auch sehr viel Eigenwerbung mit seiner Internetseite yardeni*com.

Von nichts kommt nichts. Inzwischen wurde er für diesen Internetauftritt auch schon mehrfach ausgezeichnet, denn er bietet wirklich viele nützliche Informationen und Verknüpfungen. Auch wenn Yardeni lange Zeit optimistisch war, gehört er inzwischen ebenfalls zur Riege der Crash- Gurus, denn er sagt eine langfristig ablaufende Rezession voraus, die 1997 begonnen hat und sich ganz sukzessive rund um die Welt bewegen wird.

Börse für Anfänger – Börsenweisheiten damals und heute

In den vergangenen fünf Jahren hat sich an den Börsen der Welt mehr verändert als in den 100 Jahren zuvor. Da frage ich mich natürlich, welche

der vielen Börsenweisheiten haben heute noch Bestand, welche kann man guten Gewissens in die geschichtliche Ablage legen, und welche gehören in den Papierkorb – deshalb weil sie schon immer Blödsinn waren und es bleiben?

John Kenneth Galbraith sagte einmal: Die Börse ist wie ein Paternoster. Es ist ungefährlich, durch den Keller zu fahren. Man muss nur die Nerven behalten.“ Das mag vielleicht früher so gewesen sein. Heute ist die Börse oftmals wie ein Expressaufzug. Sie schießt nach oben oder nach unten. Wer nicht im Fahrstuhl sitzt, fährt nicht mit. Die Zeiten der gemütlichen Paternoster sind endgültig vorbei. Also, ein schöner Spruch, aber leider Geschichte.

Von John Templeton stammt der Spruch: Die Zeit des größten Pessimismus ist die beste Zeit des Kaufens, die Zeit des größten Optimismus die beste Zeit zu verkaufen. Zu dieser Weisheit gibt es zahlreiche Variationen. Zum Beispiel: Buy on bad news, seil on good news. Kaufe, wenn die Stimmung schlecht ist, und verkaufe bei guter Stimmung. In die gleiche Richtung geht auch der Spruch: Kaufe, wenn die Kanonen donnern. Natürlich haben diese Weisheiten Recht. Man braucht jetzt bloß noch zu wissen, wann der niedrigste Kurs erreicht ist beziehungsweise wann der höchste Kurs bevorsteht. Und genau das verraten einem Weisheiten nicht.

Man sollte auch nie in ein fallendes Messer greifen, was so viel besagt wie: Bei fallenden Kursen nicht zu früh in Märkte einzusteigen, sondern zu warten, bis die Kursbewegung zum Ende gekommen ist. In die umgekehrte Richtung soll der Spruch The trend is your friend weisen, was nicht bedeutet: Mach das, was alle machen, sondern verkaufe bei steigenden Kursen nicht vorschnell. Solche Sprüche wie der oben schon erwähnte Seil in May and go away mögen vielleicht in Zeiten gegolten haben, als die Wirtschaftszyklen noch den Jahreszeiten angepasst waren. Aber wahrscheinlich dürfte die Regel mehr wegen des schönen Reims entstanden sein. Und wenn der Mai als Monat der hohen Kurse gilt, so halten viele den Oktober für den Krisenmonat des Jahres. Beides lässt sich statistisch aber nicht beweisen.

André Kostolany hat im Laufe seines langen Lebens viele Börsenweisheiten zusammengetragen und sie auch noch mit eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen ergänzt und erweitert. So stammt von ihm unter anderem der Satz: Viele wundern sich darüber, was an der Börse geschieht. Sie tun es nur, weil sie die Börse nicht kennen. Zum aktuellen Börsengeschehen sagte Kostolany noch kurz vor seinem Tode im Jahre 1999: Die große Gefahr auf den Finanzmärkten ist heute, dass zu viel heißes Geld in Händen ist, die damit nicht umgehen können. Eine alte Börsenweisheit, die Kostolany gern zitierte, ist: Können die Kurse nicht weiter steigen, müssen sie fallen. Das Wichtigste: ein Gespür dafür zu entwickeln, wann der Wendepunkt sein wird. Aber was wäre die Börse ohne Narren! Und was wäre die Börse, wenn ein Supercomputer alles wüsste? Die Antwort von Kostolany auf beide Fragen lautet: Es wäre keine Börse.

In alten Zeiten sagte man, ein Mann verliere seinen Verstand mit seinen letzten 10 000 Gulden. Kostolany behauptet, der deutsche Anleger verliert heute seinen Verstand mit den ersten 5 000 Euro. Man soll nicht glauben, dass die anderen, nur weil sie massiv eine Aktie kaufen, mehr wissen oder besser informiert sind. Ihre Gründe können so unterschiedlich sein, dass es unmöglich ist, daraus Folgen zu ziehen. Und noch zwei griffige Wahrheiten: Die beiden schwersten Sachen an der Börse sind, einen Verlust hinzunehmen und einen kleinen Profit nicht zu realisieren. Am schwersten aber ist es, eine eigene Meinung zu haben, das Gegenteil von dem zu machen, was die Mehrheit tut. Und: Die Börse hängt nur davon ab, ob es mehr Aktien als Idioten oder mehr Idioten als Aktien gibt.

Die folgenden Börsenweisheiten sind ausnahmsweise nicht von Kostolany:

An der Börse wird die Zukunft gehandelt und nicht die Gegenwart. In den täglichen Börsenkursen ist die Erwartung der nächsten Tage bereits enthalten. Die Börse ist schneller als Radio, TV oder die Printmedien. Die New Yorker Börse zum Beispiel verarbeitet Unternehmensinformationen innerhalb von 6 Sekunden in den Börsenkursen. Europa reagiert erst innerhalb von 30 Sekunden. Das sollte man auch bei dem Orderweg beachten. Aktien können Sie am schnellsten online übers Internet oder bei Direktbanken ordern. Bei Banken und kleineren Filialen dauert dies bis zu eineinhalb Tagen. Bedenken Sie: Wenn Banken für Aktien die Werbetrommel rühren, steht nicht der Anleger im Vordergrund.

Tolle Börsengewinne haben Sie nur dann in der Tasche, wenn Sie Ihre Aktien auch wieder verkaufen!

Das Geheimnis jeder richtigen Anlagestrategie liegt darin, den richtigen Zeitpunkt zum Ein- und Ausstieg nicht zu verpassen! Das ist alles. Wenn Sie sich um Ihre Anleihen nicht kümmern, verlieren Sie ein paar Prozent Rendite. Wenn Sie sich um Ihre Aktien nicht kümmern, können Sie alles verlieren.

Für jeden Käufer muss auch ein Verkäufer parat stehen, ansonsten kommt kein Handel zustande. Hin und her – Taschen leer. Handeln Sie nicht zu viel, und üben Sie sich in Geduld. Manche Aktien brauchen einfach Zeit. Aber: Schlechtes Timing lässt sich durch Aussitzen allein selten korrigieren!

Finanzprodukte an der Börse im Überblick

Bisher war im Zusammenhang mit Privatanlegern hauptsächlich von Investitionen in Aktien die Rede. Die Aktie hat so was Althergebrachtes, Solides; sie flößt selbst dem Börsenneuling ein Gefühl von Sicherheit ein. Wem das auf die Dauer zu langweilig wird, für den gibt es noch eine Reihe weiterer Finanzprodukte, von denen manche sicher ausreichend Nervenkitzel bieten. Das muss jedoch nicht sein. Hat man sich erst einmal mit den verschiedenen Möglichkeiten der Geldanlage an der Börse vertraut gemacht, so erkennt man bald, dass hier nicht nur Zocker und Spielsüchtige um das ganz große Ding pokern. Wer Optionsscheine und Derivate lieber in das Reich der Kristallkugeln und Handlinien verbannt sehen möchte, sollte sich doch wenigstens mal ein paar Gedanken über Anleihen oder Fonds machen.

Die Stückaktie: nennwert-, aber nicht wertlos
Für einen Kleinanleger kann es zum Beispiel zur Risikostreuung durchaus wichtig sein, dass er jede Aktie einzeln kaufen kann, um sich so zumindest ein kleines Portfolio aus verschiedenen Werten anzulegen. Das ist dank der Regionalbörsen als Vörreiter inzwischen möglich. Ein Stück zu kaufen, das war früher nicht drin, da mussten es gleich 50 sein, und das ging für manchen allzu sehr ins Geld. Die Ursache für diese Mengenregelung lag im Verwaltungs- und Kontrollaufwand, der durch immer modernere elektronische Handelssysteme so weit verbilligt werden konnte, dass jetzt auch Minitransaktionen kostengünstig auszuführen sind.

Und noch etwas hat sich, für viele Aktionäre unbemerkt, geändert. Heute haben viele Aktien keinen Nennwert mehr. Früher gab es eine 50- Euro-Aktie, eine 5-Euro-Aktie – das ist alles vorbei. Heute kaufen Sie eine Aktie für 20 Euro, und die kostet eben 20 Euro an der Börse, aber es steht kein Nennwert darauf, der Ihnen genau sagt: Mit diesem Wert bist du am Unternehmen beteiligt, und was darüber hinausgeht, ist Kursgewinn. Dennoch erwerben Sie mit dem Kauf einer Aktie nach wie vor eine Unternehmensbeteiligung, und diese richtet sich immer noch nach dem Grundkapital des Unternehmens.

Bis 1998 war es eine zwingende Vorschrift, dass an den deutschen Börsen gehandelte Aktien einen Nennwert haben mussten, der auch auf der Urkunde aufgedruckt war. Eine Aktie im Nennwert von 50 Euro zum Beispiel verbriefte dem Aktionär eine Beteiligung in genau dieser Höhe am Grundkapital der Gesellschaft. Der Kurswert liegt natürlich in der Regel deutlich höher als der Nennwert. Bis zum Jahre 1994 betrug der Mindestnennwert einer deutschen Aktie 50 Euro oder einen höheren Wert, der sich durch 50 teilen lässt, sodass die Aktien vergleichbar blieben. Dann wurde der Mindestbetrag auf 5 Euro herabgesetzt. Seit 1998 ist der Nennwert der Aktien auf einen Euro oder ein Vielfaches davon reduziert, und es wurden erstmals auch in Deutschland nennwertlose Aktien erlaubt.

Der Wert der nennwertlosen Aktie bezieht sich nicht auf einen festen Betrag, sondern auf einen bestimmten Anteil am Grundkapital des Unternehmens. Es existieren zwei Formen: die unechten nennwertlosen Aktien ‚ oder Quotenaktien und die echten nennwertlosen Aktien. Auf echten nennwertlosen steht nur Stück“ auf der Urkunde, deshalb werden sie auch Stückaktien genannt. Es wird weder ein absoluter noch ein prozentualer Anteil am Grundkapital des Unternehmens auf der Aktie angegeben. Die Höhe des Grundkapitals ist variabel und hängt davon ab, wie viel Kapital die Aktionäre eingezahlt haben. In diesem Fall errechnet sich der Anteil, den die einzelne Aktie verbrieft, wie folgt: Man teilt das vorhandene Grundkapital von dem Tag, als die Aktie ausgegeben wurde, durch die Anzahl der ausgegebenen Aktien.

Auf unechten nennwertlosen Aktien steht ebenfalls Stück, zusätzlich wird aber ein fester Quotient angegeben, der den prozentualen Anteil am Grundkapital bezeichnet. Solche Wertpapiere werden deshalb auch Quotenaktien genannt. Bei dieser Form der nennwertlosen Aktie ist die Höhe des Grundkapitals festgelegt. Der Anteil, den die Aktie verbrieft, ergibt sich durch Multiplikation des angegebenen Quotienten mit dem Grundkapital der Aktiengesellschaft.

In Deutschland und anderen europäischen Ländern wurde die bis dahin verbotene nennwertlose Aktie eingeführt, weil vor Beginn der europäischen Währungsunion und vor der Umstellung der Währungen auf den Euro die Aktien im Euroland vergleichbar gemacht werden sollten. Hätte man jeweils die Nennwerte nur in Euro umgerechnet, wären überall krumme Beträge entstanden – nicht nur unpraktisch, sondern auch verboten. Aus einer 50-Euro-Aktie wäre dann eine 25,5646-Euro-Aktie geworden. Viele Aktiengesellschaften haben inzwischen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Stückaktien zu begeben. Und man geht davon aus, dass diese die alten Nennwertaktien früher oder später ganz ablösen werden.

Aktionäre, nutzt eure Rechte!
Ob Nennwert- oder nennwertlose Aktien – für den Aktionär ändert sich eigentlich nichts, denn nach wie vor richtet sich die Zahlung der Dividende nach dem Anteil am Grundkapital, das die Aktie verbrieft, egal, ob dieses nun variabel ist oder fest. Der Aktionär behält die gleichen Rechte, die er vorher auch schon hatte.

Diese sind im Einzelnen:

  • Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung,
  • Auskunfts- und Stimmrecht,
  • Dividendenrecht,
  • Bezugsrecht sowie
  • Recht auf Anteil am Liquidationserlös.

Die in der Regel einmal jährlich stattfindende Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft beschließt über die Verwendung des Bilanzgewinns, also auch darüber, ob und in welcher Höhe eine Dividende gezahlt wird, über die Entlastung des Vorstands und über eventuelle Kapitalerhöhungen beziehungsweise eine Kapitalherabsetzung. Hier hat der Aktionär das Recht auf Auskünfte über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens. Er darf sich auch an den Abstimmungen zu den Beschlüssen der Hauptversammlung beteiligen, persönlich oder über eine Vollmacht, die er einer anderen Person oder einer Aktionärsvereinigung oder seiner Bank gibt. Macht es euch aber nicht zu bequem, indem ihr anderen das Sagen überlasst! Vergesst, dass ihr auf Hauptversammlungen mehr mit belegten Brötchen als Realdividende statt mit handfesten Daten aus euren Unternehmen zufrieden gestellt wurdet. Alles Vergangenheit. Das Würstchen Aktionär ist heute wer, wie es auch Rolf-E. Breuer vom Primus Deutsche Bank gemerkt hat: Der private Kunde bestimmt das Geschehen. Donnerwetter, was für eine Wende! Aber nun macht auch was draus.

Eine Ausnahmestellung nehmen auf Hauptversammlungen Inhaber von Vorzugsaktien ein. Vorzugsaktien haben in der Regel kein Stimmrecht. Als Ausgleich erhält der Vorzugsaktionär meist Anspruch auf eine höhere Dividende als die der Stammaktien, und er wird bei einer eventuellen Liquidation seines Unternehmens bevorzugt, was in einer solchen Situation sicher nur ein kleiner Trost sein kann. Die Dividende wird normalerweise einmal jährlich nach der Hauptversammlung an alle Aktionäre ausgezahlt, das heißt, wenn genügend Gewinn erwirtschaftet worden ist. Denn sie wird aus dem Bilanzgewinn ausgeschüttet. Und wenn kein oder ein zu kleiner Gewinn erzielt wurde, gibt es auch keine Dividende für die Aktionäre.

Bei einer Kapitalerhöhung wird das Grundkapital einer Aktiengesellschaft durch die Ausgabe neuer Aktien erhöht. Die Aktionäre erhalten entsprechend der Anzahl ihrer alten Aktien ein Bezugsrecht für neue Aktien. Das Bezugsverhältnis wird vorher festgelegt. Bei einem Bezugsverhältnis von beispielsweise 2:1 kann der Aktionär für jeweils zwei alte Aktien eine neue beziehen. Wenn er dazu keine Lust hat, kann er auch seine Bezugsrechte an der Börse verkaufen. Natürlich kann er sich auch weitere Bezugsrechte dazukaufen.

Die Rechte der Aktionäre bestehen so lange, wie es die Aktiengesellschaft gibt. Im Falle ihrer Auflösung kann der Aktieninhaber dann immer noch sein Recht auf Anteil am Liquidationserlös wahrnehmen. Immer mehr Unternehmerfamilien, die sich vor einigen Jahren zum Börsengang entschlossen, haben jetzt die Nase voll von den vielen Berichten, die sie abgeben müssen, von den Analysten, denen sie Rede und Antwort stehen sollen, und von dem Kampf um den Börsenkurs, genannt Kurspflege. Sie wollen sich wieder um ihr Unternehmen kümmern und machen deshalb ein Going private. Dazu gehört im Zweifelsfall auch die Liquidierung der AG. Also kein Thema, das man links liegen lassen sollte.

Alte und neue Finanzprodukte – Chancen und Risiken

Der Markt für Finanzprodukte ist riesig geworden. Das überrollt einen. Da kommt man nicht mehr mit. Es ist unglaublich, was es an Produkten mittlerweile gibt, und alle haben diese unverständlichen Fachbezeichnungen. Aber die Banker sagen: Das wird verlangt, es werden zur Feinsteuerung des Vermögens Produkte, auch Nischenprodukte, benötigt, und zwar in einer Differenzierung, die wir in Deutschland noch nie gehabt haben, die sogar teilweise die amerikanischen Verhältnisse übertrifft.

Möglichst für jede Nische wird ein spezielles Angebot gewünscht, zur Risikoabdeckung oder zur Risikominimierung. Ich beschränke das eine Risiko, indem ich ein anderes aufbaue. So etwas verlangen natürlich vor allem vermögende Kunden, nicht die klassischen Kleinanleger. Von neuen Finanzprodukten haben die meisten Leute ja nur eine sehr unpräzise Vorstellung. Sie haben was gehört oder bekommen was erzählt und glauben schon Bescheid zu wissen. Außerdem frisst Gier den Verstand. Mit tollen Gewinnen kann man fast jeden locken. Es kommt immer wieder vor, dass Leute irgendwelchen Figuren auf dem grauen Kapitalmarkt bares Geld in die Hand drücken: Danke für Ihren Anruf wegen der Warentermine. Ich wüsste nie, wie ich an die Sachen rankomme. Machen Sie doch mal was für mich in Schweinebäuchen und Soja. Hier haben Sie 150 000 Euro. Man ist froh, dass man eine verschwiegene und rentable Anlage für sein Schwarzgeld gefunden hat. Anschließend ist das Geld weg und man traut sich nicht, zur Polizei zu gehen, weil man dann erklären müsste, woher das Geld stammt. – Die Dummen sterben eben nicht aus. Damit Sie nicht auf diese Finanzhaie reinfallen, möchte ich Ihnen einige wichtige Finanzprodukte erklären.

Indexzertifikate: Papiere im Trend
Indexzertifikate sind zurzeit ganz groß im Kommen. Sie gehören bereits zu den Standardprodukten vieler Banken. Wie der Name schon sagt, beziehen sich diese Papiere auf einen Index, wie den DAX, Nemax oder auch andere. Der Anleger kauft aber keine Aktien und auch keinen Anteil an einem Aktienfonds, sondern eine Art Schuldverschreibung der Bank, deren Wertentwicklung von der Entwicklung des Marktes abhängig ist, auf den sich das Papier bezieht. Man kann täglich verfolgen, ob man etwas gewonnen oder verloren hat.

Nur mit Aktien allein könnte man den DAX nicht so genau nachbauen. Durch die unterschiedliche Gewichtung einzelner Unternehmen innerhalb des DAX müsste man im Zweifelsfall auch Bruchteile von Aktien kaufen, was nicht möglich ist. Der Vorteil von Indexzertifikaten besteht für den Investor auch darin, durch die breite Streuung des jeweiligen Index auch mögliche Schwächen einzelner Werte ausgleichen zu können. Indexzertifikate werden schon für 50 Euro pro Stück angeboten und können auch einzeln gekauft werden. Der Anleger sollte sich aber genau die Gebühren seiner Bank anschauen, damit sie in einem vernünftigen Verhältnis zu seiner Anlage stehen. Mit monatlichen Sparraten kann man kontinuierlich in Indexzertifikate investieren, was auch für Börsenneulinge eine praktikable Anlageform darstellt.

Besonders seit der Halbierung des Sparerfreibetrags ist das Interesse an Indexzertifikaten weiter gewachsen, berichtet die Bankgesellschaft Berlin AG. Das Institut bietet zurzeit 26 verschiedene Indexzertifikate, womit es zu den führenden Anbietern in diesem Bereich zählt. Nicht alle Banken geben eigene Indexzertifikate heraus, sie können aber bei jeder Bank gekauft werden. Die Zertifikate werden an der Börse gehandelt und lassen sich wie Aktien jederzeit verkaufen. Gegenüber Aktienfonds haben Indexzertifikate einen deutlichen Vorteil: Sie sind wesentlich billiger. Ausgabeaufschläge entfallen ebenso wie die Kosten des Fondmanagements (nicht nur erfolgreiche Fondmanager beziehen ein üppiges Gehalt!). Für Kauf und Verkauf verlangen die Banken Spesen zwischen 0,2 und 0,5 Prozent und damit bis zu 6 Prozent weniger, als bei Fonds anfallen. Bis vor kurzem hatten die Indexpapiere einen Nachteil: ihre begrenzte Laufzeit. Wenn diese endete und das Geld erneut in ein Zertifikat investiert werden sollte, fielen auch erneut Erwerbskosten an. Inzwischen gibt es jedoch auch Zertifikate ohne feste Laufzeit, Endlos- oder Open-End-Zertifikate genannt. Die ABN Amro Bank war die erste, die solche unbefristeten Zertifikate anbot. Inzwischen werden sie auch von anderen Banken herausgegeben, so von der Bankgesellschaft Berlin, der Commerzbank und UBS Warburg. Wie bei Aktien oder Fonds sind bei Indexzertifikaten die Kursgewinne steuerfrei, wenn man die Spekulationsfrist von einem Jahr einhält. Während bei Aktien und Fonds die Erträge aus ausgeschütteten Dividenden jedoch versteuert werden müssen, sind diese Gewinne bei Zertifikaten ebenfalls steuerfrei.

Anleihen — die Berechenbaren
Wer Aktien hält, ist im Prinzip Unternehmer, nur dass er nicht an den täglichen Entscheidungen mitwirkt. Die überlässt er seinem Vorstand. Er profitiert von den Erträgen des Unternehmens (Dividende), die aber keinesfalls garantiert sind, und von den Erfolgen (Kursgewinne). Wer eine Anleihe kauft, wird dagegen zum Geldverleiher, also zum Gläubiger. Die Anleihe verbrieft das Recht auf Rückzahlung der Geldforderung zuzüglich einer Verzinsung. Anleihen werden von Kreditinstituten, der öffentlichen Hand und von Unternehmen begeben. Sie dienen der langfristigen Kreditfinanzierung. Anleihen werden auch als Renten, fest verzinsliche Wertpapiere, Bonds, Schuldverschreibungen oder Obligationen bezeichnet. Sie haben einen Nennwert, der die Höhe der Geldforderung angibt und die Grundlage der Verzinsung bildet. Außerdem ist die Laufzeit von vornherein festgelegt, der Schuldner nimmt nach deren Ende die Anleihe zum Nennwert zurück. Anleihen werden aber an der Börse gehandelt, und man kann sie vor dem Ende der Laufzeit über die Börse verkaufen.

Anleihen können zu pari, das heißt zum Nennwert, unter pari, das heißt unter dem Nennwert, oder über pari begeben werden. Der Ausgabekurs liegt umso näher am Nennwert, je mehr der Anleihezins dem aktuellen Marktzins entspricht. Der Kurs einer Anleihe ergibt sich aus Angebot und Nachfrage am Markt, er kann über oder unter dem Nennwert liegen. Somit hat der Inhaber die Chance, neben der Verzinsung auch noch Kursgewinne zu erzielen.

Entscheidend für die Geldanlage in einer Anleihe ist also nicht nur die vorher vereinbarte Verzinsung auf den Nominalbetrag, sondern die so genannte effektive Verzinsung. Sie errechnet sich aus der Restlaufzeit, dem Kaufkurs und dem Rückzahlungskurs. Hauptunterscheidungsmerkmal bei verschiedenen Anleihen ist ihre Verzinsung. Bei Nullkupon-Anleihen beispielsweise erhält der Anleger keine Zinsen, dafür werden sie deutlich unter ihrem Nennwert ausgegeben und, wenn sie fällig sind, zum Nennwert zurückgenommen. Der Gewinn des Anlegers ergibt sich aus der Differenz zwischen Ausgabekurs und Nennwert und fällt also erst am Ende der Laufzeit an. Bei anderen Anleihen ist von vornherein eine feste Verzinsung in bestimmter Höhe vereinbart. Sie werden Anleihen mit festem Zinskupon genannt, weil die gleich bleibenden Zinsen als so genannte Zinskupons der Anleihe beigelegt werden. Als dritte Anleiheart gibt es die so genannten Floater mit variablen Zinsen, wobei Ober- und Untergrenzen angegeben werden können oder eine Anlehnung an andere Zinssätze vorgenommen wird.

Anleihen sind eine vergleichsweise risikoarme Geldanlage. Der Inhaber kann sein Forderungsrecht auf Rückzahlung auch im Falle eines Konkurses des Schuldners geltend machen. Das Risiko eines Totalverlusts ist bei Schuldnern mit guter Bonität gering. Das trifft aber nicht auf alle Schuldner zu. Es gibt spezielle Wirtschaftsprüfungsgesellschaften oder Rating-Agenturen, die im Auftrag der Institutionen oder Unternehmen, die am Anleihemarkt Anleihen auflegen wollen, deren Bonität prüfen. Sie untersuchen, ob diese in der Lage sind, ihren Zahlungsverpflichtungen vereinbarungsgemäß nachzukommen oder ob in dieser Hinsicht ein Risiko besteht, und klassifizieren die Anleihen entsprechend. Die bekanntesten Rating-Agenturen sind Moody’s und Standard & Poor’s.

Die höchste Stufe der Bonität wird bei Moody’s mit Aaa bezeichnet, bei S&P mit AAA,. Mittlere Bonität trägt bei Moody’s die Bezeichnungen Al bis Baa3, bei S&P A+ bis BBB-. Wenn Sie bei Moody’s Caa, Ca, C lesen oder bei S&P CCC+, CCC, CCC-, D, dann sollten sie die Finger von den Anleihen lassen, denn das sind die Bezeichnungen für geringe Bonität.

Bei den Anleihen gilt die Faustregel: Je höher die Bonität, desto geringer die Rendite, je niedriger die Bonität, desto höher die versprochene Rendite. Sonst würde ja keiner die risikoreichen Papiere kaufen. An der Spitze der hoch spekulativen Anleihen stehen die Junkbonds. Sie werden von Unternehmen ausgegeben, die aufgrund ihrer bereits bestehenden hohen Verschuldung keine weiteren Bankdarlehen aufnehmen können beziehungsweise denen auch keine Emission von normalen Anleihen mehr möglich ist. Nicht umsonst heißen Junkbonds übersetzt Ramsch-, Schrottoder Abfallanleihem. Wer die kauft, geht ein Totalrisiko ein. Vorsicht ist immer angesagt, wenn Ihnen jemand als Geheimtipp Anleihen mit Superzinsen anbietet. Wenn man sich auf Schuldner mit guter Bonität beschränkt, das sind natürlich vor allem die öffentliche Hand, Banken und solide Unternehmen, dann eignen sich Anleihen gut für weniger risikofreudige Anleger. Sie lassen sich ziemlich exakt auf die eigenen Wünsche zuschneiden und besser kalkulieren als zum Beispiel Aktien. Denn man weiß im Voraus, wann man sein Geld zurückbekommt und welche Zinsen anfallen. Anleihen bringen in der Regel eine höhere Rendite als Spareinlagen, Sparverträge, Festgeld, Sparbriefe, aber kurzfristig in den meisten Fällen eine geringere als Aktien.